Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, ,

Die Mutter bei der Wiege

Von

Schlaf, süßer Knabe, süß und mild!
Du deines Vaters Ebenbild!
Das bist du; zwar dein Vater spricht,
Du habest seine Nase nicht.

Nur eben itzo war er hier
Und sah dir ins Gesicht,
Und sprach: „Viel hat er zwar von mir,
Doch meine Nase nicht.“

Mich dünkt es selbst, sie ist zu klein,
Doch muß es seine Nase sein;
Denn wenn’s nicht seine Nase wär,
Wo hättst du denn die Nase her?

Schlaf, Knabe, was dein Vater spricht,
Spricht er wohl nur im Scherz;
Hab immer seine Nase nicht,
Und habe nur sein Herz!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Mutter bei der Wiege von Matthias Claudius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Mutter bei der Wiege“ von Matthias Claudius zeigt in liebevoll-heitervollem Ton eine Mutter, die zu ihrem neugeborenen Kind spricht. Es handelt sich um ein Wiegenlied, das in seiner Schlichtheit und Wärme eine intime Alltagsszene aus dem Familienleben einfängt. Im Zentrum steht die spielerische Auseinandersetzung mit der Frage, ob das Kind dem Vater ähnlich sieht – insbesondere im Hinblick auf dessen Nase.

Claudius verbindet in dem Gedicht humorvolle Beobachtungen mit zärtlicher Fürsorge. Die Mutter wiederholt dabei, was der Vater über das Kind sagt, und kommentiert es mit augenzwinkernder Logik: Selbst wenn die Nase zu klein scheint, muss sie ja irgendwoher stammen – und wer käme sonst in Frage als der Vater? Die scheinbar banale Überlegung wird zum Ausdruck tiefer familiärer Verbundenheit.

Hinter dem spielerischen Ton verbirgt sich ein liebevolles Menschenbild: Nicht die körperliche Ähnlichkeit zählt am meisten, sondern das, was im Herzen ist. Die letzten Verse betonen diese Wendung vom Äußeren zum Inneren – das Kind möge „immer seine Nase nicht“ haben, aber „nur sein Herz“. Damit wird auf das Wesentliche im menschlichen Miteinander verwiesen: Charakter, Güte und Liebe sind wichtiger als äußere Merkmale.

Claudius gelingt es, in schlichter Sprache eine tiefe emotionale Dimension zu entfalten. Die Mischung aus Mutterliebe, familiärem Humor und stiller Lebensweisheit verleiht dem Gedicht eine besondere Wärme. Es zeigt, wie aus dem Alltäglichen das Menschlich-Wahre hervorleuchten kann – mit leiser Ironie und großem Herzen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.