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In der Kunstaustellung

Von

Was drängt sich die bunte Menge
Sich gaffend um dies Bild?
Es ist ein junges Mädchen
Mit Zügen krampfhaft wild.

Ihr alten eitlen Gecken
Dränget euch nicht so nahe hin,
Reizt nicht an den zarten Formen
Den abgestumpften Sinn.

Seht hinter euch – o sehet!
Dort an der dunkelsten Stell‘
Lehnt ohnmächtig von Hunger,
Des schönen Bildes Modell.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: In der Kunstaustellung von Ada Christen

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „In der Kunstausstellung“ von Ada Christen entfaltet in wenigen Zeilen eine scharfe gesellschaftskritische Szene, in der Kunst, Armut und Heuchelei einander gegenübergestellt werden. Es beginnt mit einer Beobachtung in einer Ausstellungssituation und endet mit einem erschütternden Kontrast zwischen ästhetischer Bewunderung und menschlichem Elend.

Im Mittelpunkt steht ein Gemälde, das ein junges Mädchen mit „Zügen krampfhaft wild“ zeigt – möglicherweise Ausdruck von Leid, Leidenschaft oder Verzweiflung. Die „bunte Menge“ betrachtet das Bild mit Sensationslust, ohne seine tiefere Tragik zu erkennen. Christen nutzt das Verb „gaffen“, um die oberflächliche, beinahe gierige Rezeption des Kunstwerks zu charakterisieren.

Die zweite Strophe richtet sich direkt an die „alten eitlen Gecken“ – wohl Männer, die mit lüsternem Blick die „zarten Formen“ des Mädchens betrachten und dabei ihre eigene Abgestumpftheit offenbaren. Diese Kritik an voyeuristischer Lust und männlichem Blick ist deutlich: Die sinnliche Wahrnehmung der Kunstfigur ignoriert das reale Schicksal, das dahinter steht.

Die dritte Strophe bringt die entscheidende Wendung: Das Modell des Bildes, die tatsächliche junge Frau, lehnt ohnmächtig und hungrig im Schatten der Galerie. Während ihr gemaltes Abbild bewundert wird, leidet sie selbst unbeachtet am Rand. Hier zeigt sich die bittere Ironie: Die Kunst erhöht das Leiden, stilisiert es – doch das reale menschliche Elend bleibt unsichtbar und unbeachtet.

Ada Christen kritisiert mit diesem Gedicht nicht nur die Doppelmoral einer konsumierenden Gesellschaft, sondern stellt auch grundsätzlich die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Es ist ein Plädoyer für Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und die Sichtbarkeit des Menschen hinter dem Bild – ein poetischer Aufruf, den Blick abzuwenden vom schönen Schein und hinzuwenden zum realen Leid.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.