Was soll ich sagen?
Mein Aug‘ ist trüb,
Mein Mund ist stumm,
Du heißest mich reden,
Es sei darum!
Dein Aug‘ ist klar,
Dein Mund ist rot,
Und was du nur wünschest,
Das ist ein Gebot.
Mein Haar ist grau,
Mein Herz ist wund,
Du bist so jung
Und bist so gesund.
Du heißest mich reden,
Und machst mir’s so schwer.
Ich seh‘ dich so an
Und zittre so sehr.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Was soll ich sagen?“ von Adelbert von Chamisso beschreibt ein lyrisches Ich, das sich in einer tiefen inneren Zerrissenheit befindet, ausgelöst durch die Konfrontation mit einer deutlich jüngeren, vitalen Person. Die Gegensätze zwischen Alter und Jugend, Schwäche und Stärke, Verstummung und Sprechen durchziehen den Text als zentrales Motiv und geben der kurzen Szene eine starke emotionale Dichte.
Schon in den ersten Versen wird das Bild einer erschöpften, verletzlichen Person gezeichnet: „Mein Aug’ ist trüb, / Mein Mund ist stumm“. Die Bitte oder Aufforderung, dennoch zu sprechen, wirkt fast grausam, „Es sei darum!“ klingt resigniert, fast trotzig. Im Kontrast dazu steht die jugendliche Kraft der angesprochenen Person, deren Klarheit und Attraktivität durch die Beschreibung von „klarem Auge“ und „rotem Mund“ hervorgehoben wird. Ihre Wünsche haben Macht – „ein Gebot“ – und lassen dem Sprecher keinen Raum zur Weigerung.
Das lyrische Ich empfindet sich selbst als gebrochen: „Mein Haar ist grau, / Mein Herz ist wund“. Das körperliche Altern und seelische Leiden stehen in direktem Gegensatz zur Gesundheit und Jugend der angesprochenen Person. Dieser Kontrast verdeutlicht nicht nur das Alter des Sprechers, sondern auch eine emotionale Kluft, die kaum zu überbrücken scheint.
Die letzte Strophe bringt die innere Spannung auf den Höhepunkt: Die Aufforderung zum Reden wird als Belastung erlebt, das bloße Ansehen der geliebten Person führt zu Zittern – eine Mischung aus Liebe, Ehrfurcht und möglicherweise Angst vor Zurückweisung. Das Gedicht zeigt somit auf berührende Weise die Ohnmacht eines älteren Menschen angesichts einer überwältigenden, unerreichbaren Jugend und Schönheit – es ist das stille Ringen um Worte, wenn Gefühle die Sprache lähmen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.