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Der Dokter

Von

Jetz sitz i dreizeah‘ Maunat hia,
Hau‘ gmoi’t, i spinn gauh‘ Seida –
Do hau‘ koi‘ Kägereschtaug noh nia
Koim Bour i däarfa bschneida,

Koim gotziga a’n Oder schla
Und in en Oisa picka,
Au koim a Boi’le neamma’n a,
A Schmarra zema flicka.

Rezettla hau’n i Stucka neu‘
A’fanga zwor verschrieba,
Doch traget mer au dia nix ei‘,
Denn äll sinds schuldig blieba.

Füar was hau’n i denn jetz gstudiart
Uff älli Waih und Leida,
An armi Teufel d Kau’scht probiart
Im Säaga’n und im Schneida?

Füar was Mixtura, Guttra, Tee
Wia s Wassar leana schreiba?
So ka’s a’n armer Musié,
Wia’n i, it lang maih treiba.

Wenn oiner au sei‘ Hand verbrennt,
A Meassar hot im Rucka,
Lauft ear voarbei zum Pfuscher gschwind
Und i – hau‘ s Nochigucka.

Jahr Leut, verstauh’t, jetz hau’n i gnua,
So laß me nimma pudla,
Bei ui schla-n-i mei‘ Trucha zua –
Jetz kommet mer äll ge Nudla!

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Gedicht: Der Dokter von Michel Buck

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Dokter“ von Michel Buck ist ein humorvoll-satirischer Monolog in schwäbischer Mundart, der die Frustration eines Arztes schildert, der trotz langer Ausbildung und gutem Willen kaum Anerkennung oder Arbeit findet. Der Text lebt von seiner lebendigen Alltagssprache und bringt mit viel Ironie die Kluft zwischen akademischem Anspruch und bäuerlicher Wirklichkeit auf den Punkt.

Der Sprecher sitzt seit „dreizeah‘ Maunat“ (dreizehn Monaten) untätig herum, obwohl er „studiert“ hat, um Menschen zu helfen. Doch in der Realität darf er keine Patienten behandeln – weder schneiden („bschneida“) noch spritzen oder Wunden flicken. Der Frust wächst, weil ihn niemand braucht oder bezahlen kann. Selbst die ausgestellten „Rezettla“ (Rezepte) führen zu nichts, da die Patienten entweder nicht kommen oder ihre Schulden nicht begleichen.

Besonders deutlich wird das Missverhältnis zwischen seinem theoretischen Wissen („Mixtura, Guttra, Tee“) und der praktischen Wirkungslosigkeit im ländlichen Raum. Die Menschen gehen lieber zum „Pfuscher“ – also zu nicht ausgebildeten Heilern –, als sich dem ausgebildeten, aber fremd wirkenden Arzt anzuvertrauen. Der Sprecher wird so zum Symbol für den gebildeten Außenseiter, der an der Realität des Alltags scheitert.

Die letzte Strophe bringt eine resignierte, fast komische Wendung: Der Doktor gibt auf – er will „nimma pudla“ (nicht mehr herumdoktern) und macht symbolisch „sei Trucha zua“ (zieht die Tür zu). Die abschließende Pointe „Jetz kommet mer äll ge Nudla!“ (Jetzt kommt mir alle mit Nudeln!) spielt mit der Erwartung, dass der Arzt nun nur noch als Privatperson oder Genießer wahrgenommen werden will – weg von der nutzlosen Professionalität, hin zur einfachen Lebensfreude.

„Der Dokter“ ist ein pointiertes Stück schwäbischer Literatur, das auf humorvolle Weise soziale Spannungen zwischen Bildung und Tradition, Theorie und Praxis, Stadt und Land thematisiert. Michel Buck gelingt es, mit Witz und sprachlicher Authentizität die menschliche Seite des Arztes sichtbar zu machen – ein Mann, der helfen will, aber an der Welt um ihn herum verzweifelt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.