Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , ,

Waisenkinder auf der Heide

Von

Kein Obdach! Birg in meinem Schoße
Das liebe Lockenköpfchen dein
Und schließ‘ das Aug‘, das dunkle, große,
Zu gold’nem Traum, mein Brüderlein!

Die Nacht bricht an – die Vögel schweifen
Zu Nest, zu Nest mit letzter Kraft;
Der Nebel wallt in langen Streifen
So grau daher – und märchenhaft
Ziehn Glockenklänge auf der Heide.

Da liegt es ja im Abendscheine,
Das stille kleine Gotteshaus,
Und rings herum viel Leichensteine,
An manchem Kreuz ein Blumenstrauß.
Wie muss es sich doch unterm Hügel
So heimlich lauschend und so sacht,
Wenn traumhaft senkt den weichen Flügel
Und lautlos horcht die Sommernacht
Den Glockenklang auf der Heide!

Der Tod so süß, so hart das Leben-
Träum‘ fort, träum‘ fort, mein Brüderlein!
In Winterfrost, in Sturmesweben
Wer tut uns auf, wer lässt uns ein?
Wie schön, dem Glück ins Auge sehen,
Ins Auge warm und strahlenhell –
Uns winkts nur im Vorübergehen
Und kommt und flieht, wie Träume schnell,
Wie Glockenklänge auf der Heide.

Träum‘ fort, träum‘ fort – und doch! wie heute
So wundersam sich hebt mein Muth,
Als grüßt‘ uns Gott aus dem Geläute:
„Getrost! Es wird noch Alles gut.“
Als ging er mit des Tages Scheiden
Die Heid‘ entlang von Ort zu Ort
Und sprach‘ zu Allen, die da leiden,
Ein freundlich Wort, ein Vaterwort
Aus Glockenklängen auf der Heide.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Waisenkinder auf der Heide von Ernst Ziel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Waisenkinder auf der Heide“ von Ernst Ziel schildert in eindringlichen und gefühlvollen Bildern das Schicksal zweier verwaister Kinder, die in einer kalten, lebensfeindlichen Welt Trost und Hoffnung suchen. Die sprechende Figur – offenbar das ältere der beiden Geschwister – versucht, dem jüngeren Bruder inmitten von Kälte, Dunkelheit und Verlassenheit ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln.

Zentrales Motiv ist die Natur in der Abenddämmerung: Der Nebel, der Abendschein, die Vögel auf dem Heimflug und das Glockenläuten schaffen eine melancholisch-verträumte Atmosphäre, in der sich Einsamkeit und Sehnsucht verdichten. Die wiederkehrenden Glockenklänge symbolisieren dabei Trost, geistige Nähe zu Gott und einen möglichen Ausweg aus dem Leid – sie sind wie ein zarter Hoffnungsschimmer, der durch die trostlose Umgebung klingt.

Ein starkes Spannungsverhältnis durchzieht das Gedicht: Zwischen der Härte des Lebens („kein Obdach“, „Winterfrost“, „Sturmesweben“) und der süßen Verlockung des Todes („Der Tod so süß, so hart das Leben“) entsteht eine ambivalente Sicht auf die Existenz. Die Todesnähe – symbolisiert durch das „stille kleine Gotteshaus“ und die Grabkreuze – erscheint nicht als bedrohlich, sondern als tröstlich. Das Träumen, das Einschlafen, das Hineinversenken in eine jenseitige Welt wird zum Zufluchtsort.

Doch trotz aller Verzweiflung findet das Gedicht zu einem leisen Hoffnungsimpuls. In der letzten Strophe wird das Glockenläuten als eine Stimme Gottes gedeutet, als eine unsichtbare, tröstende Präsenz, die den Kindern Mut zuspricht. Dieser Moment spiritueller Erhebung bildet einen Kontrast zur vorangegangenen Ausweglosigkeit und verleiht dem Gedicht eine versöhnliche Wendung: Aus tiefer Nacht und Not erhebt sich ein Gefühl der göttlichen Nähe, das Trost spendet und den Glauben an eine bessere Zukunft aufrechterhält.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.