Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , ,

Heimweh

Von

Auf der dampfenden Stadt liegt Mittagsglut,
Und es sinkt mir die Wimper; es wallt mir das Blut,
Und die Straßen so staubig, so dumpf und so schwül,
Und die Menschen so nüchtern, so lieblos kühl,
Und so hastig ihr Schaffen, so wirr ihr Gedräng,
Das Gewissen so weit, und die Herzen so eng –
In der Brust erwacht mir ein Heimweh tief,
Das lange schlief.

Wo am Strande die schimmernden Dünen stehn,
Wo die Masten ragen die Wimpel wehn,
Wo die Möwen am Felsen sich Nester baun,
Wo versunkene Städte vom Grunde schaun,
Wo die rollende Flut zu Lande schäumt,
Und das Herz von vergangenen Tagen träumt
In dem wellenversilbernden Mondenschein –
Da möcht ich sein.

Ein trauliches Heim am brandenden Meer
Und verständige, schlichte Nachbarn umher
Und ich selber mit Weib und mit Kindern darin –
O, wie würd ich genesen an Herzen und Sinn!
Doch der Großstadt Wust, wo die Einfalt stirbt,
Wo der Leib früh altert, die Seele verdirbt,
Wo das heiligste feil ist um eitles Gold,
Hat Gott nicht gewollt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Heimweh von Ernst Ziel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Heimweh“ von Ernst Ziel beschreibt die Sehnsucht nach einem einfachen, naturnahen Leben im Kontrast zur hektischen und gefühllosen Großstadt. Der Sprecher fühlt sich von der Glut der Stadt, der schwülen Luft und der Hast der Menschen erdrückt. Der harte, unpersönliche Alltag der Stadt scheint ihn in seiner inneren Unruhe und Entfremdung zu bestärken. Die „nüchternen“ und „lieblosen“ Menschen sowie das „wirre Gedräng“ stehen in starkem Gegensatz zu den sehnlich ersehnten, friedlichen Bildern eines zurückgelassenen Heimatorts.

Die zweite Strophe entführt den Leser in eine idealisierte, fast mystische Landschaft, die an eine heile, unberührte Natur erinnert. Der Strand, die Dünen, die Möwen und die „versunkenen Städte“ evoziieren eine Zeit und einen Ort, der von der Hektik und dem Verfall der Gegenwart befreit ist. Das Bild des „wellenversilbernden Mondenscheins“ vermittelt eine friedvolle, träumerische Atmosphäre, die das Heimweh des Sprechers verstärkt. Er sehnt sich nach einem Ort der Ruhe und des Friedens, wo er zur inneren Einkehr finden kann.

Das Gedicht gipfelt in einer Vision von häuslichem Glück: Ein „trauliches Heim“ am Meer, umgeben von „verständigen, schlichten Nachbarn“, in dem der Sprecher zusammen mit seiner Familie zur Ruhe kommen würde. Die einfache, ehrliche Lebensweise im Einklang mit der Natur steht im scharfen Gegensatz zur materialistischen und entmenschlichten Welt der Großstadt. Der Sprecher beschreibt die Stadt als einen Ort, an dem der Mensch seine Einfachheit und Unschuld verliert, wo der „Leib früh altert“ und die „Seele verdirbt“.

Ziel stellt hier die Großstadt als einen Ort des Verfalls und der Entfremdung dar, wo das Streben nach Reichtum und Erfolg die tieferen menschlichen Werte zerstört. Die Vorstellung eines heilen, familiären Lebens in der Natur wird als der wahre, gottgewollte Lebensentwurf präsentiert, der sich gegen die „eitle[n] Gold“-Bilder der urbanen Welt stellt. In der Sehnsucht nach diesem Ideal wird die eigene Entfremdung von der Gegenwart spürbar und das Heimweh als Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses nach Authentizität und innerer Harmonie.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.