Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , ,

Abendstimmung

Von

Am Meer im Zwielicht schreit‘ ich gesenkten Haupts;
Tiefernste Andacht wehet durch die Natur,
Und unter blassen Mondesstrahlen
Wandeln die Wogen: Es rauscht die Brandung.

Ich weiß ein Grab jenseits des bewegten Meers:
Dort wuchert Unkraut rings und der Dornenbusch,
Und wenn die Welt entschlief am Abend,
Hockt im Gestrüppe das Nachtgevögel.

Ob sich der Mond, weltfernes, verlass’nes Grab,
Wohl nächtens küsst, wenn Wind durch die Gräser streicht?
– – Mich fasst unendlich Weh‘: Von ferne
Hallen die Glocken entleg’ner Kirchen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Abendstimmung von Ernst Ziel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abendstimmung“ von Ernst Ziel ist ein eindringlich-melancholischer Text, der in knappen Bildern eine tiefe seelische Bewegung zwischen Naturbetrachtung, Erinnerung und Trauer entfaltet. Die Stimmung des Gedichts ist von Beginn an getragen von Einsamkeit und Nachdenklichkeit: Das lyrische Ich schreitet mit „gesenktem Haupt“ am Meer entlang, während „tiefernste Andacht“ durch die Natur weht. Diese religiös konnotierte Wendung verleiht der Szenerie eine kontemplative Tiefe.

Das zentrale Bild ist das Meer im Zwielicht, über dem ein „blasser Mond“ steht – klassisches Symbol für Vergänglichkeit und Kälte. In dieser Landschaft wird das Meer zum Spiegel innerer Bewegung: Die „wandelnden Wogen“ und das „Rauschen der Brandung“ lassen das Unruhevolle, aber auch das Ewig-Wiederkehrende anklingen. Die Natur wird hier nicht nur als Kulisse verstanden, sondern als Mitträgerin existenzieller Empfindungen.

Das Gedicht führt dann zu einem fernen, einsamen Grab jenseits des Meeres. Dieses Grab, umgeben von Unkraut und Dornen, wird nicht gepflegt, nicht besucht – ein Symbol für Vergessen, Verlust und Verlassenheit. Die Vorstellung, dass „im Gestrüppe das Nachtgevögel“ hockt, verstärkt den unheimlichen und todesnahen Eindruck. Die Verbindung von Tod und Natur erfolgt hier nicht in tröstlicher, sondern in resignativer Weise.

Die Frage, ob der Mond das Grab küsst, gibt dem Gedicht eine zarte, fast trauerpoetische Wendung. In dieser Personifikation des Himmelskörpers klingt eine leise Hoffnung auf transzendente Verbindung an, zugleich bleibt das lyrische Ich aber gefangen in „unendlichem Weh“. Die letzten Zeilen, in denen „Glocken entleg’ner Kirchen“ hallen, schließen das Gedicht mit einem tiefen Echo von Trauer, Erinnerung und einer verlorenen metaphysischen Ordnung.

„Abendstimmung“ ist somit eine lyrische Meditation über Verlust, Einsamkeit und die stille Sehnsucht nach Verbindung – mit der Toten, mit einer Welt jenseits der sichtbaren. Ernst Ziel verwebt Naturbeobachtung mit emotionaler Tiefe zu einem Bild des stillen, fast religiösen Schmerzes. Möchtest du das Gedicht im Kontext des Symbolismus oder der Naturlyrik des 19. Jahrhunderts weiter eingeordnet haben?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.