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Tiger

Von

Die große Sonne scheint in seine Zelle
Und zieht auf seinem bunt gestreiften Felle
Noch andre Striche: schwarzer Stäbe Schatten.

Er blinzt hinauf mit wütendem Verlangen:
Das Licht durchbricht doch die zerbissnen Stangen!
Es legt sich innen zu ihm auf die Matten!

Kann sich die Sonne nicht mit ihm zusammen
Aufs Gitter werfen? Schmelzen heiße Flammen
Aus ihrer beider Rachen nicht die Platten?

Die Sonne ist nicht heiß, wie er sie kannte,
Als sie im fernen freien Himmel brannte –
Auch sie gefangen, malt hier Kerkerschatten.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Tiger von Alfred Wolfenstein

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Tiger“ von Alfred Wolfenstein beschreibt auf eindrucksvolle Weise das Bild eines Tiger im Käfig, das sowohl körperliche als auch symbolische Bedeutung hat. Der Tiger befindet sich in seiner Zelle, in der er dem grellen Sonnenlicht ausgesetzt ist, das „auf seinem bunt gestreiften Felle“ scheint. Diese Zeilen vermitteln das Bild eines wilden, majestätischen Tieres, dessen natürliche Schönheit und Kraft jedoch durch die Begrenzung des Käfigs geschmälert werden. Die „schwarzen Stäbe“ werfen Schatten auf seinen Körper, was die Enge und die Unterdrückung seiner Freiheit verdeutlicht.

Der Tiger blickt „mit wütendem Verlangen“ zum Licht, das durch die „zerbissnen Stangen“ bricht, und er sehnt sich nach der Freiheit, die er früher kannte. In den nächsten Zeilen zeigt sich die tiefe Sehnsucht des Tieres: „Kann sich die Sonne nicht mit ihm zusammen / Aufs Gitter werfen? Schmelzen heiße Flammen / Aus ihrer beider Rachen nicht die Platten?“ Diese Fragen offenbaren nicht nur die Verzweiflung des Tigers, sondern auch den Wunsch nach einer gemeinsamen, zerstörerischen Flucht. Die Sonne, ein Symbol für Freiheit und Leben, soll sich mit ihm vereinen, um die Gitterstäbe zu schmelzen und das Gefängnis zu zerstören.

Doch die Sonne ist nicht mehr die gleiche wie früher. Sie „ist nicht heiß, wie er sie kannte“, und „auch sie gefangen“ – dies deutet auf eine Veränderung hin. Die Sonne, die das Bild von Wärme und Leben repräsentiert, hat sich selbst durch das Gefängnis des Tigers verändert. Sie ist nun ebenfalls ein Symbol der Gefangenheit, die ihre ursprüngliche Kraft und Intensität verloren hat. Sie malt „Kerker-Schatten“ und steht ebenso wie der Tiger im Gefängnis, nur auf einer anderen Ebene – die Freiheit des Himmels ist durch die physischen und symbolischen Grenzen des Käfigs gleichermaßen eingeschränkt.

Wolfenstein nutzt die Darstellung des Tigers und der Sonne, um die Themen Freiheit, Gefangenschaft und das Streben nach Befreiung zu thematisieren. Der Tiger, der in seiner Zelle eingesperrt ist, steht nicht nur für die physische Begrenzung eines Lebewesens, sondern auch für die innere Sehnsucht nach einem Zustand, der in einer Welt voller Zäune und Schatten nicht mehr erreichbar scheint. Die Sonne, die in gewisser Weise „gefangen“ ist, spiegelt die Illusion einer Freiheit wider, die nicht mehr existiert. Das Gedicht ist eine eindrucksvolle Meditation über das Verhältnis von Freiheit und Gefangenschaft, das sowohl den Tiger als auch die Sonne betrifft.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.