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Das Heidelberger Schloß

Von

Euch grüß ich, weite lichtumflossne Räume,
Dich, alten reichbekränzten Fürstenbau.
Euch grüß ich hohe, dichtumlaubte Bäume
Und über euch des Himmels tiefes Blau.

Wohin den Blick das Auge forschend wendet
In diesem blütenreichen Friedensraum,
Wird mir ein leiser Liebesgruß gesendet;
O freud- und leidvoll schönster Lebenstraum!

An der Terrasse hohem Berggeländer
War eine Zeit sein Kommen und sein Gehn,
Die Zeichen treuer Unterpfänder,
Sie sucht ich, und ich kann sie nicht erspähn.

Dort jenes Baumsblatt, das aus fernem Osten
Dem westöstlichen Garten anvertraut,
Gibt mir geheimer Deutung Sinn zu kosten,
Woran sich fromm die Liebende erbaut.

Dem kühlen Brunnen, wo die klare Quelle
Um grünbekränzte Marmorstufen rauscht,
Entquillt nicht leiser, rascher, Well auf Welle,
Als Blick um Blick, und Wort um Wort sich tauscht.

O schließt euch nun, ihr müden Augenlieder!
Im Dämmerlicht der fernen, schönen Zeit
Umtönen mich des Freundes hohe Lieder;
Zur Gegenwart wird die Vergangenheit.

Durch jenen Bogen trat der kalte Norden
Bedrohlich unserm friedlichen Geschick;
Die rauhe Nähe kriegerischer Horden
Betrog uns um den flüchtgen Augenblick.

Aus Sonnenstrahlen webt ihr Abendlüfte
Ein goldnes Netz um diesen Zauberort,
Berauscht mich, nehmt mich hin, ihr Blumendüfte,
Gebannt durch eure Macht kann ich nicht fort.

Schließt euch um mich, ihr unsichtbaren Schranken;
Im Zauberkreis, der magisch mich umgibt,
Versenkt euch willig, Sinne und Gedanken;
Hier war ich glücklich, liebend und geliebt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Heidelberger Schloß von Marianne von Willemer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Heidelberger Schloß“ von Marianne von Willemer ist eine lyrische Erinnerung an einen Ort inniger Liebe und persönlicher Erfüllung, der im Rückblick zum mythischen Raum verklärt wird. Die Beschreibung des Schlosses und seiner Umgebung ist nicht bloß eine Natur- oder Architekturbetrachtung, sondern ein zutiefst emotionales Zwiegespräch mit der Vergangenheit, in dem Landschaft und Erinnerung untrennbar ineinander übergehen.

Schon in der Anrede an die „lichtumflossnen Räume“ und den „reichbekränzten Fürstenbau“ wird deutlich, dass das Schloss ein Ort der Erhabenheit und des inneren Erlebens ist. Die Natur – Bäume, Himmel, Quellen – ist nicht Kulisse, sondern Trägerin von Erinnerungen und stillen Liebeszeichen. Überall entdeckt das lyrische Ich Hinweise auf eine vergangene Liebe, doch zugleich schwingt die schmerzliche Erkenntnis mit, dass diese Zeichen verblasst sind: „Sie sucht ich, und ich kann sie nicht erspähn.“ Diese Spannung zwischen erfüllter Erinnerung und gegenwärtigem Verlust durchzieht das gesamte Gedicht.

Eine zentrale Metapher ist das „Baumsblatt, das aus fernem Osten“ stammt – ein klarer Bezug zum „Gingo biloba“, das Goethe als Symbol der Einheit zweier Seelen in seinem gleichnamigen Gedicht verwendete. Diese Zeile macht deutlich, dass das Gedicht auch auf eine konkrete, wahrscheinlich gemeinsame Liebeserinnerung mit Goethe zurückgeht. Die „geheime Deutung“, die das Blatt bietet, wird zur Quelle stiller geistiger Erbauung – ein Moment romantischer Innerlichkeit und symbolischer Kommunikation.

Im weiteren Verlauf wird der Ort zur Schwelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Der Blick in den „kühlen Brunnen“ evoziert das lebendige Wechselspiel von Blicken und Worten – ein Abbild der einstigen Liebesbegegnungen. Doch auch die Zerstörung dieser Harmonie durch „kriegerische Horden“ – wohl ein Verweis auf die politischen Wirren der Zeit – zeigt, wie vergänglich diese Augenblicke waren. Der „kalte Norden“ kann dabei auch metaphorisch für die Kälte der Realität stehen, die das poetische Idyll bedroht.

Am Ende verzaubert die Erinnerung das Schloss vollends: Der „Zauberkreis“ aus Düften, Licht und innerem Glück zieht das lyrische Ich unwiderruflich an. Die Sinne versenken sich in die Erinnerung, die Gegenwart wird zur Trägerin eines idealisierten Glücks, das einst real war. Willemer gelingt es in diesem Gedicht, subjektive Erfahrung, Naturbild und geschichtliches Bewusstsein zu einem dichten, musikalischen Erinnerungstext zu verweben, der ein Ort innerer Heimat wird.

Möchtest du auch Goethes Antwort oder Parallele zu diesem Liebesgedicht betrachten?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.