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Im Sommerwinde

Von

Es wogt die laue Sommerluft.
Wacholderbüsche, Brombeerranken
Und Adlerfarren nicken, wanken.
Die struppigen Kiefernhäupter schwanken;
Rehbraune Äste knarren.
Von ihren zarten, schlanken,
Lichtgrünen Schossen stäubt
Der harzige Duft,
Und die weiche Luft
Wallt hin wie betäubt.

Auf einmal tut sich lächelnd auf
Die freie sonnige Welt:
Weithin blendendes Himmelblau;
Weithin heitre Wolken zu Hauf;
Weithin wogendes Ährenfeld
Und grüne grüne Auen…
Hier an Kiefernwaldes Saum
Will ich weilen, will ich schauen –
Unter zartem Akazienbaum,
Der vom muntern Wind gerüttelt
Süße Blütentrauben schüttelt.

O Roggenhalme hin und her gebogen!
Wie sanft sie flüstern, wie sie endlos wogen
Zu blau verschwommenen Fernen!
Schon neigen sich und kernen
Viel Häupter silbergrün.
Andre blühn,
Duftend wie frisches Brot.
Dazwischen glühn
Mohnblumen flammenrot
Bei dunkelblauen Cyanen…

Und droben wallen
Durch lichtes Blau
Wolkenballen,
Gebirgen gleich,
Halb golden und halb grau.
Frau Sonne spreitet
Den Strahlenfächer von Silberseide
Zur Erde nieder;
Dann taucht sie wieder
Aus schneeigem Wolkenkleide
Blendende Glieder
Und blitzt und sprüht
Verklärend Goldgefunkel
Auf Auen, wo lachend blüht
Vergissmeinnicht und gelbe Ranunkel
Und Sauerampfer ziegelrot…

O du sausender brausender Wogewind!
Wie Freiheitsjubel, wie Orgelchor
Umrauschest du mein durstig Ohr;
Du kühlst mein Haupt, umspülst die Gewandung,
Wie den Küstenfelsen die schäumende Brandung –
O du sausender brausender Wogewind!
Nun ebbest du, so weich, so lind –
Ein Säuseln, Lispeln, Fächeln.
Bestrickte dich ein Sonnenlächeln?
Auch dein Gesäusel stirbt;
Dann – lauschige Stille.
Nur noch die Grille
Dengelt und zirpt
Im Erlengebüsch, wo das Wässerlein träumt,
Von Lilien gelb umsäumt.
Ins Blaue weltverloren girrt
Inbrünstig die Lerche – schwirrt
Taumlig vor Wonne
Zu Wolken und Sonne
Und girrt und girrt.

Da wird mir leicht, so federleicht;
Die dumpfig alte Beklemmung weicht.
All meine Unrast, alle wirren
Gedanken sind im Lerchengirren,
Im süßen Jubelmeer ertrunken.
Versunken
Die Stadt mit Staub und wüstem Schwindel;
Versunken
Das Menschengesindel;
Begraben der Unrat, tief versenkt
Hinter blauendem Hügel,
Dort wo hurtige Flügel
Die emsige Mühle schwenkt…

Friede, Friede
Im Lerchenliede,
In Windeswogen,
In Ährenwogen!
Unendliche Ruhe
Am umfassenden Himmelsbogen!

Weißt du, sinnende Seele,
Was selig macht?
Unendliche Ruhe!
Nun bist du aufgewacht
Zu heitrer Weisheit.
Gestern durchwühlte dein Herz ein Wurm,
Und heute lacht
Das freie Herz in den Sommersturm…

Friede, Friede
Im Lerchenliede,
In Windeswogen,
In Ährenwogen!
Unendliche Ruhe
Am umfassenden Himmelsbogen!

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Gedicht: Im Sommerwinde von Bruno Wille

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht *Im Sommerwinde* von Bruno Wille ist eine hymnische Naturbeschreibung, die sich zu einer spirituell-existentiellen Erfahrung steigert. Das lyrische Ich erlebt die sommerliche Landschaft mit allen Sinnen, wobei die Natur nicht nur Kulisse, sondern Medium einer inneren Wandlung ist.

Zunächst entfaltet sich die Natur in lebendig bewegten Bildern: „wogt die laue Sommerluft“, „nicken, wanken“, „schüttelt Süße Blütentrauben“. Durch diese dynamische Sprache wird die Landschaft als atmender, pulsierender Organismus erfasst. Besonders auffällig ist die synästhetische Fülle: Gerüche, Farben, Bewegungen und Geräusche verschmelzen in einem sinnlichen Gesamteindruck. Der Naturraum wird zum Gegenbild urbaner Enge und psychischer Beklemmung.

Im Mittelteil des Gedichts erreicht die Beschreibung eine überhöhte Bildsprache. Himmel, Ähren, Blumen und Wolken erscheinen fast überreal, durchzogen von Licht und Farben – wie in einer Vision. Die Sonne wird als weibliche Gestalt mit „blendenden Gliedern“ inszeniert, die goldene Energie auf die Erde sprüht. Diese Darstellung ist nicht bloß ästhetisch, sondern transzendent: Die Natur wird zur göttlich durchwirkten Offenbarung.

Das lyrische Ich reagiert darauf mit einem Gefühl der Befreiung: Der zuvor gespürte „Wurm im Herzen“, Sinnbild existenzieller Unruhe oder innerer Zerrissenheit, wird im Naturerlebnis überwunden. Der Wind, das Lerchenlied und das „süße Jubelmeer“ befreien es von der Last des städtischen Lebens, das als „Menschengesindel“ und „Unrat“ abgewertet wird. Es vollzieht sich eine spirituelle Reinigung, die in einem Zustand kontemplativer Ruhe mündet.

Der Schluss ist eine Art Naturmystik: Die wiederholte Formel „Friede, Friede“ und die emphatische Beschwörung der „unendlichen Ruhe“ geben dem Gedicht eine fast liturgische Färbung. Die Natur wird zum Ort der Wahrheit, der inneren Klarheit und Weisheit. Der Sommerwind wird so zum Symbol einer geistigen Befreiung – ein Akt der Wiederverbindung von Mensch und Welt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.