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Möwe über der Brücke

Von

Dir unterm Fuß,
Zwischen den Ufern Schreitender, spannt
Sich der Brücke gewölbter Bogen.

Und eine Möwe,
Wie ein Gedanke fernher blitzend,
Schießt auf dich ihre blendende Bahn.

Eine Sekunde
Stößt ihr Auge in deines, greift
Dich der weißen Schwinge Umarmung.

Eine Sekunde
Hebt dich der Flug, trägt dich der Geist,
Der schwerelose, brausend empor.

Es weht dich an
Der unendliche Raum, es rauscht
Freiheit dir unermeßlich ums Haupt.

Wie ein Gedanke
Der weiße Vogel, fernhin sich windend,
Und kehrt dir einmal wieder vielleicht

Solange noch
Von Ufer zu Ufer, Wanderer, dich
Der Brücke schweigender Bogen trägt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Möwe über der Brücke von Maria Luise Weissmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Möwe über der Brücke“ von Maria Luise Weissmann beschreibt eine Begegnung zwischen dem Wanderer und einer Möwe, die wie ein Symbol für Freiheit und flüchtige Gedanken erscheint. Zu Beginn wird das Bild einer Brücke erzeugt, deren gewölbter Bogen sich „zwischen den Ufern Schreitender“ spannt, was den Übergang von einem Ort zum anderen symbolisiert – ein Motiv, das sowohl für die physische als auch für die geistige Bewegung des Wanderers steht. Die Brücke ist ein Raum zwischen zwei Welten, ein Übergangspunkt, der die räumliche und metaphorische Trennung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, dem Bekannten und dem Unbekannten verdeutlicht.

Die Möwe erscheint dann als „Gedanke fernher blitzend“, ein Bild für die flüchtige und unerreichbare Idee, die plötzlich in den Blick des Wanderers tritt. Ihre „blendende Bahn“ deutet auf ihre Geschwindigkeit und den Moment der plötzlichen, intensiven Begegnung hin. Der Moment, in dem das Auge des Wanderers das der Möwe trifft, wird als ein Augenblick des „greifens“ beschrieben, der fast eine Umarmung der „weißen Schwinge“ impliziert. Diese Darstellung lässt die Möwe als eine Metapher für das Streben nach Freiheit und die Verbindung zwischen der physischen und geistigen Welt erscheinen. Die Umarmung der Möwe wird zu einem Moment der Befreiung, in dem der Wanderer die Schwerelosigkeit und den Geist der Freiheit erfasst.

In der darauffolgenden Strophe wird der Moment der Bewegung und des Aufschwungs verstärkt: Der Wanderer wird „vom Flug“ und dem „Geist“ getragen, der „schwerelos, brausend empor“ geht. Hier wird der Wanderer nicht nur physisch, sondern auch mental emporgehoben – ein Bild für die Erhebung des Geistes und die Entfaltung des inneren Raums. Die „unendliche Raum“ und die „Freiheit“, die ihm „unermeßlich ums Haupt“ wehen, beschreiben das Gefühl der totalen Ungebundenheit, das der Wanderer in diesem Augenblick der Begegnung mit der Möwe erfährt. Der Moment ist von absoluter Freiheit durchzogen, als ob die physische Welt für eine Sekunde aufgehoben wird und der Wanderer vollständig in den Raum der Gedanken und der Möglichkeiten eintaucht.

Das Gedicht endet mit der Möglichkeit einer Rückkehr – die Möwe, wie ein Gedanke, könnte „vielleicht“ wiederkehren. Der Wanderer bleibt jedoch auf der Brücke, „von Ufer zu Ufer“ getragen, ein Symbol für die dauerhafte Reise des Lebens, die zwischen den Polen von Erwartung und Erfahrung schwankt. Der schweigende Bogen der Brücke bleibt dabei als ständige Begleitung des Wanderers, ein Zeichen der Kontinuität und des Übergangs, der das Leben immer wieder voranträgt, während die Erinnerung an den flüchtigen Moment der Freiheit als ein fernes, wiederkehrendes Bild bleibt.

Weissmanns Gedicht vermittelt eine kraftvolle Vision von Freiheit, geistiger Erhebung und der flüchtigen Schönheit des Moments. Die Möwe, der Gedanke und die Brücke stehen als Symbole für die Bewegungen des Lebens, das ständige Streben und die Momente der Freiheit, die nur für kurze Zeit ergriffen werden können. Es ist ein Gedicht, das sowohl die physische Welt als auch die metaphorische Reise zwischen verschiedenen Zuständen des Bewusstseins und der Wahrnehmung beschreibt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.