Jahres-Ende
Du greises Jahr: du eilst, dem Ziele zu
Rascher und rascher, sehnst dich nach der Ruh
In einem tiefen grenzenlosen Tod.
Doch sieh: ich eile schneller, nach dem Rot
Des neuen Morgens gierig, dir voraus.
O komm! Hinübergeh! Lösch aus, lösch aus!
Gezeichnetes, Beladenes, befleckt
Mit großer Müdigkeit, mit Schmerz bedeckt –
Vergeh – ich werde! Stirb – und ich vermag
Aufzuerstehn: o neuer, reinster Tag.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Jahres-Ende“ von Maria Luise Weissmann reflektiert das Ende eines Jahres als eine metaphorische Darstellung des Übergangs und der Erneuerung. Zu Beginn wird das „greise Jahr“ personifiziert und als ein Wesen beschrieben, das „rascher und rascher“ dem Ende entgegen eilt, sich nach Ruhe und „grenzenlosem Tod“ sehnt. Der Tod wird hier nicht nur als das Ende eines Lebens, sondern auch als das Ende von etwas Altem und Abgeschlossenen dargestellt – in diesem Fall das Jahr, das sich seiner letzten Stunde nähert. Der „tiefen, grenzenlosen Tod“ kann auch als ein Bild für den unaufhaltsamen Zyklus von Zeit und Vergänglichkeit gesehen werden.
In der zweiten Strophe tritt das lyrische Ich in den Vordergrund und fordert das Jahr auf, zu „vergehen“, schneller zu sterben und Platz zu machen für den neuen Morgen. „Gierig“ eilt das lyrische Ich dem „Rot des neuen Morgens“ entgegen, ein starkes, lebendiges Bild für den Beginn eines neuen Zyklus oder einer neuen Hoffnung. Die Gier nach dem neuen Morgen lässt die Sehnsucht nach einem Neuanfang und einer unbefleckten Zukunft durchscheinen. Die Forderung, dass das alte Jahr „ausgelöscht“ werden soll, verdeutlicht den Wunsch, das Vergangene hinter sich zu lassen und Platz für das Neue zu schaffen.
Das Bild des „gezeichneten, Beladenen, befleckten“ Jahres, das von „großer Müdigkeit“ und „Schmerz bedeckt“ ist, verstärkt die Last des Vergangenen und die Schwere, die mit dem Ende des Jahres verbunden sind. Es wird ein Gefühl der Erschöpfung und der Abnutzung vermittelt, als ob das alte Jahr von den „Spuren“ der Zeit gezeichnet wurde, die es in sich trägt. Dieser Zustand des „Vergehens“ wird jedoch als notwendig dargestellt, um Platz für das Neue zu schaffen.
Am Ende des Gedichts wird der Wunsch nach Erneuerung und Aufstieg formuliert: „Stirb – und ich vermag / Aufzuerstehn“. Das lyrische Ich spricht von einer Art Auferstehung, die durch das Ende des Alten ermöglicht wird – die Möglichkeit, sich nach dem Verlust von etwas Vergangenem zu erheben und zu einem „neuen, reinsten Tag“ zu streben. Dieser „neue Tag“ steht für einen Neubeginn, für ein Leben voller Hoffnung, Reinheit und frischer Energie.
Insgesamt stellt Weissmanns Gedicht das Jahresende als einen Wendepunkt dar, an dem das Alte und Abgenutzte Platz für das Neue und Unberührte macht. Es geht um den Zyklus von Ende und Anfang, von Vergänglichkeit und Erneuerung. Das Gedicht vermittelt eine Botschaft der Hoffnung und der Möglichkeit eines Neuanfangs, der mit dem Vergehen des Alten und der Mut zum Aufstehen nach dem Verlust verbunden ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.