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Poeten müssen verliebt seyn

Von

1.

Sprecht mich nicht weiter an
Um ein verliebtes Lied,
Denn ich bin außgethan
Wo Lust und Liebe blüht,
Das Gras ist abgemeyht,
Die Rosen sind vergangen,
Der Winter führt das Leid
Und hat sich angefangen.

2.

Ich fühle keine Lust
Die mich zum Versen treibt,
Weil meine kalte Brust
Unangefochten bleibt:
Das harte Silber fleust
Nur bey der grossen Hitze,
Und der Poeten Geist
Wird nur im Lieben nütze.

3.

Wie kan ich itzt betrübt
Und wieder frölich seyn,
In dem mir nichts beliebt
Von Anmuth oder Pein.
Soll mein erfrornes Hertz
Von Glut und Flammen singen,
Und soll der kalte Schertz
Die spröde Feder zwingen?

4.

Ach nein die Aloe,
Der Zucker und Zibeth,
Macht weder wohl noch weh,
Wann der Geschmack vergeht.
Man muß die Eitelkeit
Der Liebe noch ertragen,
Will man von Freud und Leid
Gereimte Reimen sagen.

5.

Der ist fürwar nicht klug,
Der ohn ein Seitenspiel,
Durch einen Selbst-Betrug,
Verschwiegen tantzen will:
Und so wird mein Gedicht
Ein schlechtes Vrtheil fühlen,
Wo die Begierden nicht
Die Sarabande spielen.

6.

Geh zarte Poesie,
Du bleibst mir unbewust,
Geh meine süsse Müh,
Itzt meine saure Lust,
Ich schreibe was ich kan,
Ihr aber meine Brüder,
Sprecht mich nicht weiter an,
Umb Schertz- und Liebes-Lieder.

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Gedicht: Poeten müssen verliebt seyn von Christian Weise

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Poeten müssen verliebt seyn“ von Christian Weise ist eine poetologische Reflexion über die enge Verbindung zwischen Liebesempfindung und dichterischer Inspiration. In sechs Strophen äußert das lyrische Ich seine Unfähigkeit, Liebesgedichte zu schreiben, da es nicht mehr von Gefühlen bewegt wird. Der Gedanke, dass echte Poesie ohne Empfindung nicht entstehen kann, steht im Zentrum dieser resignativen und zugleich ironisch gebrochenen Betrachtung.

Schon in der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich eine emotionale Kälte: „Das Gras ist abgemeyht, / Die Rosen sind vergangen“. Diese Naturbilder deuten auf ein Verblühen der Liebe hin – das innere Erleben gleicht einem eintretenden Winter. Mit dem Ende der Liebe versiegt auch die poetische Produktivität. In der zweiten Strophe wird dies durch das Bild des Silbers verdeutlicht, das nur bei großer Hitze fließt – ebenso müsse die „Hitze“ der Liebe den „Poeten Geist“ zum Ausdruck bringen.

In den folgenden Strophen steigert sich der Gedanke, dass ohne lebendige Leidenschaft kein glaubwürdiges oder kunstvolles Dichten möglich sei. Die Frage, wie ein „erfrornes Hertz“ von „Glut und Flammen singen“ könne, bringt diese Absurdität pointiert auf den Punkt. Auch der Geschmackssinn dient als Metapher für den Verlust des emotionalen Zugangs: Selbst süße Dinge wie „Aloe“, „Zucker“ und „Zibeth“ (Moschusduft) verlieren ihre Wirkung, wenn das Empfinden abgestumpft ist.

Die fünfte Strophe bringt ein spielerisches Bild: Ohne „Seitenspiel“, also ohne die Begleitung der Liebe, könne man auch kein tänzerisches, lebendiges Gedicht schreiben – das Gedicht bleibt blass, wenn nicht die „Begierden […] die Sarabande spielen“. Diese Verbindung von Musik, Tanz und Gefühl dient als Sinnbild für eine ganzheitlich empfundene Dichtung. In der letzten Strophe zieht sich das lyrische Ich resigniert zurück und erklärt die Poesie zur „sauren Lust“, weil sie ohne Liebe zur bloßen Mühe verkommt.

Weises Gedicht bringt damit nicht nur eine poetische Theorie zum Ausdruck, sondern auch eine persönliche Haltung: Dichtung, die nicht aus innerer Bewegung kommt, ist hohl. Gleichzeitig ironisiert er das eigene Dilemma, indem er dennoch Verse über eben jene Unfähigkeit schreibt – was eine paradoxe, selbstreflexive Qualität schafft.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.