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Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf

Von

Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf
In sehr honetter Begleitung:
Ein Regierungsrat – er schimpfte sehr
Auf die Neue Rheinische Zeitung.

„Die Redakteure dieses Blatts“,
So sprach er, „sind sämtlich Teufel;
Sie fürchten weder den lieben Gott
Noch den Ober-Prokurator Zweiffel.

Für alles irdische Mißgeschick
Sehn sie die einzige Heilung
In der rosenrötlichen Republik
Und vollkommener Güterteilung.

Die ganze Welt wird eingeteilt
In tausend Millionen Parzellen;
In so viel Land, in so viel Sand
Und in so viel Meereswellen.

Und alle Menschen bekommen ein Stück
Zu ihrer speziellen Erheitrung –
Die besten Brocken: die Redakteur‘
Der Neuen Rheinischen Zeitung.

Auch nach Weibergemeinschaft steht ihr Sinn.
Abschaffen wolln sie die Ehe:
Daß alles in Zukunft ad libitum
Miteinander nach Bette gehe:

Tartar und Mongole mit Griechenfraun,
Cherusker mit gelben Chinesen,
Eisbären mit schwedischen Nachtigalln,
Türkinnen mit Irokesen.

Tranduftende Samojedinnen solln
Zu Briten und Römern sich betten,
Plattnasige düstre Kaffern zu
Alabasterweißen Grisetten.

Ja, ändern wird sich die ganze Welt
Durch, diese moderne Leitung –
Doch die schönsten Weiber bekommen die
Redakteure der Rheinischen Zeitung!

Auflösen wollen sie alles schier;
Oh, Lästrer sind sie und Spötter;
Kein Mensch soll in Zukunft besitzen mehr
Privateigentümliche Götter.

Die Religion wird abgeschafft,
Nicht glauben mehr soll man an Rhenus,
An den nußlaub- und rebenbekränzten, und nicht
An die Mediceische Venus.

Nicht glauben an Kastor und Pollux – nicht
An Juno und Zeus Kronion,
An Isis nicht und Osiris nicht
Und an deine Mauern, o Zion!

Ja, weder an Odin glauben noch Thor,
An Allah nicht und an Brahma –
Die Neue Rheinische Zeitung bleibt
Der einzige Dalai-Lama.“

Da schwieg der Herr Regierungsrat,
Und nicht wenig war ich verwundert:
Sie scheinen ein sehr gescheiter Mann
Für unser verrückt Jahrhundert!

Ich bin entzückt, mein werter Herr,
Von Ihrer honetten Begleitung –
Ich selber bin ein Redakteur
Von der Neuen Rheinischen Zeitung.

Oh, fahren Sie fort, so unsern Ruhm
Zu tragen durch alle Lande –
Sie sind als Mensch und Regierungsrat
Von unbeschränktem Verstande.

Oh, fahr er fort, mein guter Mann –
Ich will ihm ein Denkmal setzen
In unserm heitern Feuilleton –
Sie wissen die Ehre zu schätzen.

Ja, wahrlich, nicht jeder Gimpel bekommt
Einen Tritt von unsern Füßen –
Ich habe, mein lieber Regierungsrat,
Die Ehre, Sie höflich zu grüßen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf von Georg Weerth

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf“ von Georg Weerth ist eine beißende politische Satire, die sich auf ebenso humorvolle wie sarkastische Weise mit den Reaktionen konservativer Beamter auf die „Neue Rheinische Zeitung“ auseinandersetzt – ein radikaldemokratisches Revolutionsblatt, das unter anderem von Karl Marx herausgegeben wurde. Der Text verbindet ironische Erzählung mit direkter Kritik am politischen Establishment der Zeit und entlarvt dessen Ängste und Vorurteile als übertrieben, lächerlich und letztlich entlarvend.

Im Zentrum des Gedichts steht die Begegnung des lyrischen Ichs mit einem Regierungsrat, der während der Zugfahrt in wütender Tirade gegen die Zeitung und ihre Redakteure wettert. Die Argumente, die dieser Mann vorbringt, sind bewusst grotesk überzeichnet: von der Güterteilung bis zur angeblich geplanten „Weibergemeinschaft“ mit abenteuerlich-exotischen Paarungen. Diese Übertreibung dient dazu, die realitätsferne Panik der politischen Rechten zu karikieren. Das Bild von Eisbären mit Nachtigallen und Irokesen mit Türkinnen ist dabei ein Musterbeispiel für die satirische Zuspitzung.

Auch die Religionskritik, die dem Blatt vorgeworfen wird, wird ins Absurde überführt: Die Redakteure sollen nicht nur die christliche Religion, sondern auch antike Götter, Naturgottheiten und sogar die Mauern Zions ablehnen. Diese Allumfassenheit des Vorwurfs zeigt die Hilflosigkeit konservativer Denker gegenüber der revolutionären Moderne, die alle traditionellen Ordnungen infrage stellt. Weerth nutzt diese Kritik nicht zur Verteidigung, sondern kontert mit Ironie: Die Zeitung sei der „einzige Dalai-Lama“ – eine bewusst paradoxe Aussage, die den konservativen Unsinn ins Leere laufen lässt.

Der Witz kulminiert in der überraschenden Wendung am Ende: Der Sprecher entlarvt sich selbst als Redakteur der geschmähten Zeitung und bedankt sich süffisant beim Regierungsrat dafür, deren Ruf so „ehrenvoll“ verbreitet zu haben. Diese Enthüllung verkehrt die gesamte vorherige Anklage in ein ironisches Lob, das den Regierungsrat als unfreiwilligen Werbeträger darstellt.

Weerths Gedicht ist damit nicht nur eine Satire auf politische Gegner, sondern auch eine pointierte Verteidigung des aufklärerischen, demokratischen Geistes. Es führt mit literarischer Leichtigkeit und klarem Spott vor, wie sehr konservative Ängste vor Umsturz und Neuerung in der Lächerlichkeit enden können – und es zeigt, wie politische Lyrik mit Humor subversiv wirken kann.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.