Die Realistin
Rosetta behauptet, die Liebe
Sei lediglich Schweinerei,
Die man nur deshalb betriebe,
Weil einem so wohl dabei.
Daß Menschen an Liebe gestorben,
Das sei nicht schwer zu verstehn.
Sie hätten sich eben verdorben,
Wie’s öfter pflegt zu geschehn.
Sie selber sähe das peinlich,
Denn ein verliebtes Schwein,
Das müsse auswendig so reinlich
Wie ein Engel inwendig sein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Realistin“ von Frank Wedekind gibt einen humorvollen, aber auch kritischen Blick auf die Idee der Liebe, wie sie von der Figur Rosetta vertreten wird. Rosetta äußert sich mit einem zynischen, fast bösartigen Blick auf die Liebe und bezeichnet sie als „Schweinerei“, die nur deshalb praktiziert wird, weil es den Menschen „wohl dabei“ ist. Diese Auffassung von Liebe als rein körperliches oder egoistisches Vergnügen stellt eine klare Ablehnung der romantischen oder idealistischen Vorstellung von Liebe dar. Sie sieht Liebe nicht als etwas Erhebendes oder Göttliches, sondern als etwas, das die Menschen in ihrer natürlichen, unreinen Form befriedigt.
Rosetta geht weiter, indem sie erklärt, dass Menschen an Liebe „gestorben“ sind, was sie als eine Art Schwäche oder Verderbtheit betrachtet. Ihre Sichtweise suggeriert, dass der Tod durch Liebe nicht tragisch, sondern lediglich das Ergebnis einer persönlichen „Verdorbenheit“ ist, was eine zynische, fast spöttische Haltung gegenüber dem menschlichen Gefühl ausdrückt. Ihre Erklärung, dass dies „öfter pflegt zu geschehn“, verstärkt die Idee, dass sie Liebe als eine Art vermeidbare Falle ansieht, in die sich Menschen unnötig verstricken.
In der letzten Strophe wird ihre Einstellung zur Liebe noch deutlicher. Sie bezeichnet ein „verliebtes Schwein“ als etwas „peinlich“, was die Entwertung des romantischen Gefühls in ihren Augen noch weiter unterstreicht. Doch gleichzeitig stellt sie hohe moralische Anforderungen an sich selbst, indem sie betont, dass ein „verliebtes Schwein“ genauso „reinlich“ wie ein Engel sein müsse. Diese Bemerkung zeigt eine gewisse Widersprüchlichkeit in ihrer Haltung: Einerseits lehnt sie die Liebe ab, andererseits fordert sie eine gewisse Perfektion und Reinheit, was eine doppelte Moral in ihrer Sichtweise offenbart.
Wedekind nutzt in diesem Gedicht Humor und Ironie, um die Perspektive einer „Realistin“ darzustellen, die mit einem zynischen Blick auf die menschliche Liebe schaut. Rosetta zeigt eine pragmatische, fast entmenschlichende Sichtweise, die die Bedeutung der Liebe und ihre oft unkontrollierbaren Auswirkungen in Frage stellt. Das Gedicht kann als Satire auf die romantische Idealisierung der Liebe verstanden werden, während es gleichzeitig die Widersprüche und Absurditäten in der Haltung von Menschen aufzeigt, die sich von solchen Idealen distanzieren.
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Lizenz und Verwendung
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