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Kaiser Friedrichs des Zweiten Sarg

Von

So je im Tempel Ernstes und Heiliges
Das Herz mir traf in großen Entfaltungen,
Des Gottes dunkle Offenbarung
Schauer mir goß in des Geistes Tiefen,

Und wär‘ es Blut und Leib des Erlösers selbst,
Da ihn mein Mund berührte zum erstenmal,
So Unaussprechliches im Herzen
Nicht an der Treppe des Altars fühlt‘ ich,

Und zürnte mir der Himmel und zürnte mir
Die Erde, die im Staube Gebete lallt,
Doch sei’s bekannt, vor deinem Sarge
Feiert‘ ich größere, kühn’re Andacht.

Du hier, o ew’ge Glorie des Vaterlands,
Des deutschen Scepters herrlichster Fürst und Held,
Du Schöpfer nie gewagter Thaten,
Kämpfer des Lichts und der bessern Wahrheit,

Der größer als der Sieger der Hydra einst,
Der sichtbaren, mit schrecklicherm Feinde rang,
Mit gift’germ Ungeheur, mit blut’germ;
Ohne Gestalt und verwundbar Wesen

Trug es so viel der Häupter, der streitenden,
Als Herzen athmen, flammende Nahrung sog’s
Im Osten, Schweif und Drachenflügel
Schlug den zertretnen, zermalmten Abend.

Des Rachens unersättlicher Schlund am Strand
Des Tibers gähnt‘ er, Throne zertrümmert‘ er,
Ein groß Jahrtausend war sein Leben,
Rühmt‘ er nicht selbst sich des Himmels Wächter,

Dein Feind, o Friedrich? Größern bekämpfte nie
Ein Held, sei’s denn der Engel des Schwerts vielleicht,
Der Belial schlug. O Staub des Herrschers,
Betet‘ ich Irdisches an, du wärst es.

Des Bannstrahls denk‘ ich, den aufs gekrönte Haupt
Roms frechster Priester schleuderte, Volk und Land
Mit Fluch beladend und der Menschheit
Heiligste Fesseln, der Wüthrich, sprengend.

Du aber, Kaiser, weintest in hohem Zorn
Und riefst: Des Reiches Kronen o bringt mir sie!
Und aufs geweihte Haupt sie setzend
Sprachst du in Flammen gekränkten Herzens:

Wer nähme mir die Krone von diesem Haupt?
Der Worte denk‘ ich, und in der Seele mir
Grollt bittrer Zorn; vom Sarge, dünkt mir,
Stiegest empor du in deiner Hoheit,

Des Domes Säulen stürzend und fragend: Wer,
Wer nähme mir die Krone vom Kaiserhaupt?
Und Hände ringend, Tod im Auge,
Riefe der Staufe: Wo ist mein Enkel?

Sein Blut komm‘ über euch und den Priesterstuhl,
Mein letztes Blut, mein theuerstes, über euch
Komm‘ es! Gerichtet hat die Stimme
Längst schon der Menschheit, und kommen wird er,

Der Tag, wo Jener richtet, der mich dem Staub
Anheim gab, fordern wird er von euch die Schuld,
Und ist auch dreifach eure Krone,
Dreifach mit Greueln beladen ist sie!

So dünkt mir, spricht weissagend der Geist; doch längst
Grollt ihm der Priester, grollt ihm die Mutter selbst,
Die allbarmherz’ge, nicht mehr; friedlich
Ruhet im Tempel des Kaisers Asche.

Und fern vom goldnen Altar erschallt der Chor
Zu Friedrichs Einsamkeit und des Vaters Sarg,
Als wollt‘ er ihren Zorn, als wollt‘ er
Reuig den rächenden Gott besänft’gen.

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Gedicht: Kaiser Friedrichs des Zweiten Sarg von Wilhelm Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kaiser Friedrichs des Zweiten Sarg“ von Wilhelm Waiblinger ist ein hymnisch-pathetisches Epos über die historische Gestalt Friedrichs II., das die Verehrung des Staufers mit einer scharfen Anklage gegen die römisch-katholische Kirche verbindet. Waiblinger erhebt Friedrichs Grabstätte zum Ort einer tieferen, fast überirdischen Andacht, die alle religiösen Riten übersteigt. Damit stellt er den Kaiser als eine gottgleiche Figur dar – als Verkörperung irdischer Größe, Aufklärung und Gerechtigkeit.

Der Sprecher des Gedichts beschreibt, wie er in der Gegenwart des Sarges eine tiefere religiöse Ergriffenheit empfindet als in jeder kirchlichen Zeremonie, ja selbst beim Empfang der Eucharistie. Diese Anfangspassage bringt das zentrale Motiv des Gedichts auf den Punkt: Friedrich II. erscheint als geistiger Messias einer „bessern Wahrheit“, ein Kämpfer gegen das Dunkel der Unfreiheit und des Aberglaubens, insbesondere gegen die Machtansprüche der mittelalterlichen Kirche.

Waiblinger idealisiert Friedrichs Kampf gegen den Papst als einen heroischen, fast mythischen Akt. Der Kaiser wird mit einem Drachentöter verglichen, dessen Feind jedoch kein sichtbares Ungeheuer ist, sondern die unsichtbare, aber umso zerstörerischere Macht der geistlichen Tyrannei. Der Papst erscheint als „frechster Priester“ und „Wüthrich“, der mit dem Bannstrahl Völker knechtet und die „heiligste[n] Fesseln“ der Menschheit zerreißt. Diese antiklerikale Haltung, die sich stark an aufklärerischem Gedankengut orientiert, verleiht dem Gedicht eine politische Schärfe.

In der Vorstellung des lyrischen Ichs erhebt sich Friedrichs Geist sogar aus dem Sarg, um erneut seine Kaiserwürde zu verteidigen und seinen Enkel (Friedrich III.) einzufordern. Diese Vision kulminiert in einer prophetischen Anklage: Die Kirche, insbesondere das Papsttum, werde einst von einem höheren Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Die „dreifach mit Greueln beladene“ Krone steht für die moralische Verdorbenheit der Institution. Doch diese leidenschaftliche Anklage mündet schließlich in einem Moment der Versöhnung: Friedrichs Asche ruht in Frieden, der Zorn Gottes wird durch die reuige Liturgie gemildert.

Waiblingers Gedicht verbindet politische Vision, religiöse Symbolik und persönliche Verehrung zu einem pathetisch überhöhten Lobgesang auf Friedrich II. und gleichzeitig zu einer tiefen Kritik an religiösem Machtmissbrauch. Die Sprache ist geprägt von biblischem Ton, prophetischem Pathos und heroischer Bildsprache – sie erhebt das Gedicht über das Historische hinaus in den Bereich des Mythischen.

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Lizenz und Verwendung

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