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Freyheitslied

Von

Wie glänzt auf dem Berge die goldene Wolke
So heiter und lauter dem heiteren Volke!
Da wallen und schweben
Und küssen und weben
Die wankenden Bilder im wechselnden Tanz
Um silberne Stirnen mit rosigem Kranz!

Auf jähem Gebirge, durch grünende Matten,
An Strömen und Quellen, im kühlenden Schatten,
Zu Meer und zu Lande,
Am blumigen Strande,
Da schreitet der Grieche, so kräftig und kühn!
Es schwillt ihm der Busen im wachsenden Glühn!

Noch fühlt in den Tiefen, auf wolkigen Wegen,
Den schwellenden Geist er der Mutter sich regen,
Noch fühlt er in Liebe,
Mit sehnendem Triebe,
Mit heil’gem Verlangen, auf jeglicher Spur,
Geliebt sich an wärmender Brust der Natur.

Wo hoch um die dämmernden, ragenden Höhen
Des Adlers geschwungene Fittige wehen,
Um Kronen und Wipfel,
Auf felsigem Gipfel;
Der Wind durch die Eichen, die riesigen, saust,
Da wild der Malnotte, der kräftige, braust.

Wo mild auf das heitere Menschengewimmel
Und jugendlich quillet der lautere Himmel:
Die Ferne, geläutert
Und duftig erweitert,
Verschwimmt in des Meeres zerfließendem Blau,
Da geht der Korinther auf lächelnder Au!

Und unserem Auge, dem reinen, entfalten
Sich reicher, als allen, die ew’gen Gestalten,
In heiliger Stille,
In rauschender Fülle!
Wir sind’s, die Geliebten! vom Ew’gen erfüllt!
Des Höchsten und Größten lebendigstes Bild!

D’rum sind wir auch frey wie die Schwalb in der Wolke
Wir sammeln uns wieder zum herrschenden Volke!
Wir schlagen den Türken
Und schaffen und wirken,
Uns fühlend, und drängen uns wieder hinan!
Und reih’n an die heiligen Väter uns an!

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Gedicht: Freyheitslied von Wilhelm Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Freyheitslied“ von Wilhelm Waiblinger ist eine leidenschaftliche Feier der griechischen Unabhängigkeit und nationalen Selbstverwirklichung. Es steht im Kontext des philhellenistischen Geistes des frühen 19. Jahrhunderts und betont in hymnischer Sprache die Rückbesinnung des griechischen Volkes auf seine glorreiche antike Vergangenheit. Der Sprecher verknüpft die Schönheit der griechischen Landschaft mit der erwachenden Freiheit und dem nationalen Stolz.

Die ersten Strophen entfalten ein idyllisches Bild Griechenlands: goldene Wolken, blühende Strände, kühlende Schatten – die Natur erscheint verklärt, beinahe mythisch. Der Grieche wird als kraftvoll und mutig dargestellt, mit einem „schwellenden Geist“, der ihn mit der Natur und seiner kulturellen Herkunft tief verbindet. Diese Naturbilder sind nicht bloß dekorativ, sondern symbolisieren das Wiedererwachen eines Volkes, das sich mit der ursprünglichen, göttlich gedachten Ordnung im Einklang weiß.

Die vierte Strophe steigert das Freiheitsmotiv durch das Bild des Adlers und des „Malnotte“, einer offenbar symbolischen Figur für die unbändige, wilde Kraft der Natur – möglicherweise auch ein Bild für den Widerstandsgeist. Der Mensch lebt im Einklang mit einer gewaltigen, schöpferischen Natur, in der selbst der Wind durch die Eichen als Ausdruck freier Energie gedeutet wird. Auch die Ferne, das Meer und der Himmel erscheinen als weit, rein und offen – ein Sinnbild der geistigen und politischen Entgrenzung.

In den letzten beiden Strophen wird das lyrische Wir bewusst als Teil des göttlichen Plans erkannt: Das griechische Volk sei „des Höchsten und Größten lebendigstes Bild“. Diese fast mystische Überhöhung gipfelt in der Selbstermächtigung: „D’rum sind wir auch frey wie die Schwalb in der Wolke“. Freiheit wird hier nicht nur als politisches Ziel, sondern als natürliche Bestimmung verstanden. Die Wiedererhebung gegen die Türken ist somit nicht bloß ein historischer Akt, sondern ein Schritt zur Wiederherstellung einer göttlich legitimierten Ordnung.

Waiblingers „Freyheitslied“ ist damit mehr als nur ein nationalistisches Gedicht – es ist ein idealisierender Lobgesang auf die Einheit von Mensch, Natur und Geschichte. Es verbindet Naturlyrik, Mythos und politisches Pathos zu einem poetischen Aufruf zur Erneuerung und Selbstverwirklichung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.