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Der Kirchhof

Von

Die Ruh‘ ist wohl das Beste,
Von allem Glück der Welt,
Mit jedem Wiegenfeste
Wird neue Lust vergällt,
Die Rose welkt in Schauern,
Die uns der Frühling giebt;
Wer haßt, ist zu bedauern,
Und mehr noch fast, wer liebt.

Es trübt den eignen Frieden
Mit seiner Gluth das Herz,
Das Kind ist nicht zufrieden,
Dem Mann bleibt nur der Schmerz.
Du hoffst umsonst vom Meere,
Vom Weltgetümmel Ruh‘;
Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre
Heilt keine Wunden zu.

Nun weiß ich auf der Erde
Ein einzig Plätzchen nur,
Wo jegliche Beschwerde
Im Schooße der Natur,
Wo jeder eitle Kummer,
Der mir den Busen schwellt,
In langen tiefen Schlummer
Wie’s Laub vom Baume fällt.

Ein Plätzchen ach! so theuer,
Wie mich noch keins entzückt,
Wo Lieb‘ und liebend Feuer
Mein Herz einst nicht mehr drückt,
Wo’s ruht in aller Stille,
Dem Sturme nicht mehr bloß,
Entbunden aller Hülle,
Ja frei und schicksallos.

So freundlich ist’s und heiter,
Wenn du es kennen lernst,
Stets lieblicher und breiter,
Und doch voll hohem Ernst,
Der Vorwelt düstres Grauen
Hat’s königlich geweiht,
Und weiße Steine schauen
In all‘ die Einsamkeit.

Die Pyramide düstert
Voll finstrer Pracht empor,
Aus jungen Bäumen flüstert
Ein Klagehauch hervor,
Es weht auf diese Gründe
Das grauste Alterthum,
Wenn irgendwo, so finde
Ich hier Elysium.

Es glänzt im Abendlichte
Umher die goldne Au‘,
Und himmlische Gesichte
Weckt mir das lautre Blau,
Das mit den reinen Fluthen
Dort auf des Berges Nacht,
In sanften Purpurgluthen,
Ein andrer Lethe, lacht.

Die Brüder selbst, sie stören
Hier meine Ruhe nicht,
Nur selten, daß sie hören,
Wie mir ein Ach entbricht,
Sie schlafen hier geschieden
Von aller Welt, allein,
O welch ein Glück, hienieden,
Kein Gläubiger zu sein!

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Gedicht: Der Kirchhof von Wilhelm Waiblinger

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Kirchhof“ von Wilhelm Waiblinger ist eine meditative Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens und die ersehnte Ruhe des Todes. Von Beginn an stellt der Sprecher das Sterben als das „Beste“ dar, da das Leben selbst nur aus Enttäuschung, vergänglicher Freude und Schmerz besteht. Liebe und Hass erscheinen gleichermaßen als Lasten, die den inneren Frieden trüben. Der Mensch sucht vergeblich nach Ruhe im weltlichen Treiben, doch weder Erfolg noch Ruhm können seine Wunden heilen.

Erst auf dem Kirchhof, dem Friedhof, findet das lyrische Ich den ersehnten Frieden. Diese Stätte des Todes wird nicht als bedrückend oder schrecklich beschrieben, sondern als ein Ort der Befreiung und Stille. Hier ist die Seele „frei und schicksallos“, entbunden von den Zwängen des Lebens. In dieser poetischen Vision erscheint der Friedhof als ein fast idyllischer Ort, an dem die Natur eine harmonische Kulisse für die ewige Ruhe bildet.

Besonders eindrucksvoll ist die Verbindung von geschichtlicher Dimension und persönlicher Sehnsucht. Die Erwähnung der Pyramide und des „grausten Altertums“ verweist auf eine ehrwürdige Vergangenheit und verleiht dem Ort eine erhabene Atmosphäre. In der Abendstimmung mit „goldner Au‘“ und „sanften Purpurgluthen“ wird der Kirchhof beinahe zu einem irdischen Paradies, einem „Elysium“. Die letzte Strophe verstärkt diese Vorstellung: Die Verstorbenen sind hier von der Welt getrennt und nicht länger an Verpflichtungen oder Leiden gebunden – eine beinahe erleichterte Betrachtung des Todes als endgültige Erlösung von den Mühen des Lebens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.