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Der andere Mann

Von

Du lernst ihn in einer Gesellschaft kennen.
Er plaudert. Er ist zu dir nett.
Er kann dir alle Tenniscracks nennen.
Er sieht gut aus. Ohne Fett.
Er tanzt ausgezeichnet. Du siehst ihn dir an…
Dann tritt zu euch beiden dein Mann.

Und du vergleichst sie in deinem Gemüte.
Dein Mann kommt nicht gut dabei weg.
Wie er schon dasteht – du liebe Güte!
Und hinten am Hals der Speck!
Und du denks bei dir so: „eigentlich…
Der da wäre ein Mann für mich! „

Ach, gnädige Frau! Hör auf einen wahren
Und guten alten Papa!
Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren
Ständest du ebenso da!
Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen;
Dann kennst du ihn in Unterhosen;
Dann wird er satt in deinem Besitze;
Dann kennst du alle seine Witze.
Dann siehst du ihn in Freude und Zorn,
Von oben und unten, von hinten und vorn…
Glaub mir: wenn man uns näher kennt,
Gibt sich das mit dem happy end.
Wir sind manchmal reizend, auf einer Feier…
Und den Rest des Tages ganz wie Herr Meyer.
Beurteil uns nie nach den besten Stunden.

Und hast du einen Kerl gefunden,
Mit dem man einigermaßen auskommen kann:
dann bleib bei dem eigenen Mann!

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Gedicht: Der andere Mann von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der andere Mann“ von Kurt Tucholsky thematisiert auf humorvolle und zugleich nachdenkliche Weise die Sehnsüchte und die menschliche Neigung, das vermeintlich perfekte Ideal zu suchen und zu bewundern. Die Erzählerin lernt in einer Gesellschaft einen anderen Mann kennen, der sich durch seine Attraktivität, sein Wissen und seine charmante Art auszeichnet. Der Vergleich mit ihrem eigenen Ehemann fällt negativ aus, was zu einer inneren Überlegung führt, dass der „andere Mann“ vielleicht der perfekte Partner für sie sein könnte.

Der Dichter spielt hier mit dem klassischen Thema der Verführung und der Versuchung, sich von einem anderen, vermeintlich besseren Partner angezogen zu fühlen. Tucholsky weist jedoch schnell auf die Realität hin und ruft in Form eines „guten alten Papas“ zur Besinnung auf. Der Rat, den der Vaterfigur gibt, ist pragmatisch und mit einem gewissen Augenzwinkern versehen: Der „neue“ Mann, der anfangs so ansprechend wirkt, wird mit der Zeit genauso alltäglich und unromantisch wie der eigene Ehemann. Es wird darauf hingewiesen, dass alle Menschen ihre Macken und Eigenheiten haben, die sich erst mit der Zeit zeigen – die „Nuancen beim Kosen“ und „Unterhosen“ sind nur ein Teil davon.

Tucholsky verwendet in diesem Gedicht eine Mischung aus Ironie und Humor, um zu zeigen, wie leicht es ist, sich von äußeren Eindrücken und ersten schönen Momenten blenden zu lassen. Die anfängliche Verliebtheit und die idealisierte Vorstellung eines Partners zerbrechen, sobald man diesen besser kennt. Die Botschaft ist, dass man nicht nach dem perfekten Partner suchen sollte, sondern dass die wahre Beziehung in der Akzeptanz und im Verstehen des anderen im Alltag liegt.

Das Gedicht endet mit einem klaren Appell: Wenn man jemanden gefunden hat, mit dem man „einigermaßen auskommen kann“, dann sollte man bei ihm bleiben. Die wahre Liebe und Partnerschaft entsteht nicht durch den flimmernden Schein, sondern durch die Akzeptanz und das Leben mit den Schwächen und Stärken des anderen. Tucholsky fordert dazu auf, den eigenen Partner nicht nach oberflächlichen Kriterien zu beurteilen, sondern ihn in seiner ganzen Komplexität zu akzeptieren – auch wenn dieser nicht der perfekte „Traummann“ ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.