Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , ,

Ein Winterabend

Von

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
lang die Abendglocken läutet,
vielen ist der Tisch bereitet
und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Winterabend von Georg Trakl

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Winterabend“ von Georg Trakl entfaltet eine Atmosphäre der Ruhe und des Übergangs, die durch die Kontraste von Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, sowie Gastfreundschaft und Leid geprägt ist. Die ersten Zeilen des Gedichts schildern eine beschauliche, häusliche Szene: Der Schnee fällt ans Fenster, die „Abendglocken“ läuten und das „Haus ist wohlbestellt“, was eine friedliche und sichere Stimmung evoziert. Das Bild des gedeckten Tisches und der Vorbereitung für Gäste vermittelt eine Atmosphäre von Geborgenheit und Ordnung. Der Winterabend wird als ein Moment der Einkehr und des Zusammenkommens beschrieben.

In der zweiten Strophe bricht jedoch eine dunklere, mystische Dimension in das Bild ein. Der „Wanderer“, der auf „dunklen Pfaden“ zum Haus kommt, stellt einen Fremden dar, der auf der Reise ist – sowohl im physischen als auch im spirituellen Sinne. Die Metapher des „Baums der Gnaden“, der aus dem „kühlen Saft“ der Erde blüht, vermittelt ein Bild der Hoffnung und Erlösung, die aus der Dunkelheit und Kälte hervorgehen. Doch diese Hoffnung ist ambivalent und verweist auf eine tiefergehende spirituelle Bedeutung, die über das Alltägliche hinausgeht.

Als der Wanderer in das Haus tritt, wird die Schwelle von „Schmerz“ erstarrt, was auf eine Vergangenheit von Leid und Entbehrung hindeutet. Dieser Moment des Eintritts ist von einer gewissen Schwere durchzogen, als ob der Wanderer mit seiner Geschichte und seinen Wunden das Heim betritt. Doch trotz dieser Schwere erglänzt „in reiner Helle“ das Bild des gedeckten Tisches mit „Brot und Wein“. Brot und Wein stehen hier symbolisch für Nahrung und Gastfreundschaft, aber auch für spirituelle Nahrung – die Einladung zur Gemeinschaft und zur Heilung von den Lasten des Lebens.

Trakls Gedicht spielt mit der Symbolik von Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, und stellt die menschliche Erfahrung von Leiden und Erlösung in den Mittelpunkt. Die Gastfreundschaft, die dem Wanderer entgegengebracht wird, ist nicht nur eine physische, sondern auch eine spirituelle. Der Winterabend wird somit zu einem Bild für das Finden von Trost und Hoffnung in der Dunkelheit, das immer noch von den Wunden der Vergangenheit durchzogen ist. Die warme Einladung in das Haus stellt eine heilsame Geste dar, die sowohl Trost als auch spirituelle Erneuerung verspricht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.