Lorelei
Das Wasser kraust sich noch immer dort,
Doch gleiten die Menschen darüber fort,
Sie hören das heimliche Locken nicht,
Sie schauen nicht mehr der Hexe Gesicht,
Denn in der Schule, da wird es gelehrt,
Der Hexenglauben sei ganz verkehrt.
Doch droben liegt sie, die Lorelei,
Und lässt die kleinen Krämer vorbei,
Und lacht der Klugen, der Welt, der Zeit,
Und liebt und leidet in Ewigkeit.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Lorelei“ von Carmen Sylva greift die bekannte Legende der Lorelei auf und interpretiert sie in einem modernen Kontext, in dem die alte Volksglaube und die romantische Vorstellung der Lorelei mit der rationalen Welt der Wissenschaft und des Fortschritts konfrontiert werden. In der ersten Strophe beschreibt die Dichterin das Wasser, das sich noch immer „kraust“, und die Menschen, die darüber „fortgleiten“, ohne das „heimliche Locken“ der Lorelei zu hören. Dies stellt einen klaren Gegensatz zwischen der romantischen Vorstellung und der Realität der modernen Welt dar, in der der Glaube an die „Hexe“ Lorelei als überholt und irrational gilt. Die Menschen sind nicht mehr in der Lage, das Mystische und Geheimnisvolle wahrzunehmen, weil „in der Schule“ gelehrt wird, dass solche Überzeugungen „ganz verkehrt“ sind.
In der zweiten Strophe wird die Lorelei selbst beschrieben, die „droben“ auf ihrem Felsen liegt und die „kleinen Krämer“ vorbeilässt, ohne sich von ihnen stören zu lassen. Sie lacht über „die Klugen, die Welt, die Zeit“, was darauf hindeutet, dass die Lorelei sich nicht um die rationale Welt kümmert und die Menschen, die sich von Wissenschaft und Vernunft leiten lassen, mit einem gewissen Spott betrachtet. Sie existiert in einer zeitlosen Dimension, in der sie „liebt und leidet in Ewigkeit“. Diese Zeilen betonen ihre Unsterblichkeit und das unerreichbare, unerklärbare Wesen, das sie verkörpert – eine Figur der romantischen Sehnsucht, die sich der modernen Logik entzieht.
Das Gedicht stellt also einen tiefen Gegensatz zwischen der rationalen Welt und der Welt der Romantik dar. Während die „Klugen“ und die moderne Gesellschaft den alten Aberglauben als Unsinn abtun, bleibt die Lorelei eine unerschütterliche Figur der Legende, die sich dem menschlichen Verstand und den gesellschaftlichen Normen widersetzt. Sie lebt weiter in ihrer eigenen, unsterblichen Sphäre und erinnert uns daran, dass es Dinge gibt, die jenseits von Wissenschaft und Vernunft existieren – im Bereich der Mythen, der Emotionen und der ewigen Sehnsucht. Die Lorelei ist in Carmen Sylvas Version nicht nur ein Symbol für romantische Träumerei, sondern auch für die Kraft der Legende, die auch in der modernen Welt nicht ganz zu verschwinden vermag.
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Lizenz und Verwendung
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