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Der Krieg

Von

Aus Plewna wandert ein Geisterzug,
Die türkischen Helden gefangen,
In Fetzen und barfuss, von Hunger verzehrt,
Die Glieder schlottern und hangen.

Viel Tausende wanken wie Schatten dahin,
Zur Donau ziehen die Armen,
Die nächtlichen Wolken durchheult der Wind,
Laut brüllend, wie Schlachtenerbarmen.

In lautloser Stille, so wandern sie hin
Durch schneeverdichtete Fluren,
Bedeckt mit Leichen – die Raben und Kräh’n
Verkünden der Fallenden Spuren.

Nur Leichen liegen von Plewna hin
Zur Donau in Reihen gesäet,
Ein grässlich‘ Schlachtfeld, wo Ross und Mann
Am Wagen erfroren, verwehet.

Die Wandernden schreien um Hülfe noch,
Dann knien sie, beten stille,
Mit ihren Armen gen Morgenland,
Und sterben -’s ist Allahs Wille.

Von Plewna zur Donau, wer Kräfte hat,
Vollendet die grausige Reise,
Da glitzert düster im Abendrot
Nicropolis, starrend von Eise.

Und rings ertönt ein Heulen und Schrei’n:
„O wollet uns Speise doch geben!
Was habt Ihr nicht lieber erschossen uns gleich!“
Die Lüfte, die eisigen, beben.

Zehntausend Gefangene schreien nach Brot,
Kein Brot ist zur Stunde zu haben,
Und markerschütternd durchtobt der Schrei
Die Straßen, die Wälle, den Graben.

Zehntausend liegen in jener Nacht
Verhungernd, mit sterbendem Munde,
Die Sieger sind selber von Tod bedroht –
Kein Brot! und nur Eis in der Runde!

Kein Brot! Und von jenseits da winkt das Land,
In dem lange verheißenen Frieden,
Doch hat sie die Donau mit krachendem Eis
In gewaltigen Massen geschieden.

Kein Brot! und es frieret in jener Nacht,
Als hätte Natur sich geschworen,
Den beiden Heeren den Untergang,
Fast waren sie alle verloren.

Doch endlich grauet der Tag, es kann
Die Panzerbarkasse nun wagen,
Vom Eis getragen! ein wenig Brot
Zu gemarterten Helden zu tragen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Krieg von Carmen Sylva

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht Der Krieg von Carmen Sylva, dem Pseudonym der rumänischen Königin Elisabeth, ist eine eindringliche Anklage gegen die Grausamkeit des Krieges. Es beschreibt die entsetzlichen Folgen des Russisch-Osmanischen Krieges, konkret die Rückzugs- und Gefangenensituation nach der Schlacht um Plewna (1877), und verzichtet auf heroische Verklärung zugunsten einer drastisch-realistischen Darstellung des Leidens.

Gleich zu Beginn wird das Bild eines „Geisterzugs“ heraufbeschworen: Die türkischen Kriegsgefangenen, gezeichnet von Kälte, Hunger und Elend, irren barfuß und in Fetzen dahin. Die poetischen Mittel wie „die Glieder schlottern und hangen“ oder „wie Schatten“ unterstreichen ihre Entmenschlichung – sie sind kaum mehr als körperlich existierende Hüllen. Der Krieg erscheint nicht als Ort heldenhafter Taten, sondern als Entmenschlichung und Tod.

Die Szenerie ist durchgehend apokalyptisch: Schnee, Kälte, Tod und Stille bestimmen die Landschaft. Die Natur wird zum Spiegel des Schreckens – „Leichen in Reihen gesäet“, „der Fallenden Spuren“ von Raben und Krähen begleitet. Das Motiv der absoluten Sprachlosigkeit wechselt mit verzweifeltem Schreien: Der Gegensatz zwischen stiller Resignation und markerschütternden Rufen nach Brot verstärkt die emotionale Wucht des Gedichts.

Besonders eindrucksvoll ist die Wendung, dass nicht nur die Besiegten leiden, sondern auch die Sieger. Beide Heere sind gleichermaßen vom Tod bedroht – „Kein Brot!“ wird zum bitteren Refrain. Die Donau, Sinnbild für die Grenze zwischen Krieg und Frieden, bleibt unüberwindbar – das „verheißene Land“ bleibt unerreichbar, vom Eis abgeschnitten. Selbst die Natur scheint sich gegen die Menschen verschworen zu haben.

Erst in den letzten Versen keimt leise Hoffnung auf: Die „Panzerbarkasse“ wagt sich über das Eis, um ein wenig Brot zu bringen. Doch dieses kleine Zeichen der Barmherzigkeit wirkt fast hilflos gegenüber dem zuvor geschilderten Grauen. Der Krieg ist ein erschütterndes Zeugnis menschlicher Not, das bewusst auf Pathos verzichtet und stattdessen mit schonungsloser Genauigkeit das Leiden benennt. Sylvas Sprache ist klar, unverschnörkelt und durchdrungen von Mitleid – sie richtet sich gegen jede Glorifizierung des Krieges und ruft eindringlich zur Mitmenschlichkeit auf.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.