Wunder (Ich)
Du steht! Du steht!
Und ich
Und ich
Ich winge
Raumlos zeitlos wäglos
Du steht! Du steht!
Und
Rasen bäret mich
Ich
Bär mich selber!
Du!
Du!
Du bannt die Zeit
Du bogt der Kreis
Du seelt der Geist
Du blickt der Blick
Du
Kreist die Welt
Die Welt
Die Welt!
Ich
Kreis das All!
Und du
Und du
Du
Stehst
Das
Wunder!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Wunder (Ich)“ von August Stramm spiegelt in einer kraftvollen und zugleich chaotischen Sprache eine existenzielle Auseinandersetzung mit dem Ich und dem Du sowie der Wahrnehmung von Zeit und Raum. Zu Beginn wird das „Du“, das sich „steht“, als fester, unbewegter Punkt dargestellt, der dem „Ich“ gegenübersteht. Das wiederholte „Du steht! Du steht!“ wirkt fast wie ein Ruf oder ein Befehl, der die Unbeweglichkeit und Präsenz des Anderen betont, während das „Ich“ in einem Zustand der Bewegung und Unsicherheit verharrt. Die Worte „Ich winge / Raumlos zeitlos wäglos“ drücken das Gefühl aus, in einer grenzenlosen Leere gefangen zu sein, ohne Orientierung und festen Halt.
Im weiteren Verlauf wird die Dynamik zwischen dem „Du“ und dem „Ich“ intensiver. Das „Du“ wird als eine allmächtige Kraft dargestellt, die in der Lage ist, „die Zeit zu bannen“, den „Kreis zu biegen“ und den „Geist zu seelen“. Diese übernatürlichen, beinahe göttlichen Fähigkeiten des „Du“ heben es über das „Ich“ und unterstreichen die Diskrepanz zwischen den beiden. Während das „Ich“ in Bewegung und Verwirrung gefangen ist, scheint das „Du“ eine feste, beherrschende Präsenz zu haben, die das Universum selbst in Bewegung setzt. Die Wiederholung von „Du“ und die Beschreibung von Handlungen wie „Du blickt der Blick“ und „Du kreist die Welt“ verleihen dem „Du“ eine fast unermessliche Macht.
Das „Ich“ wiederum wird immer weiter in eine kosmische Dimension gezogen: „Ich Kreis das All!“ Diese Wendung verdeutlicht, dass das „Ich“ versucht, sich in den unendlichen Raum zu bewegen, sich in das Unermessliche hinein zu versetzen, aber ohne die Stabilität und Kontrolle, die das „Du“ hat. Die Welten und der Kosmos werden hier zum Spielball eines unaufhörlichen Kreises, der zwischen dem „Ich“ und dem „Du“ hin und her geht. Die Kollision dieser beiden Kräfte – das „Ich“, das sich selbst in der unendlichen Weite verstrickt, und das „Du“, das die Zeit und das Universum beherrscht – erzeugt ein Gefühl von Spannung und Ambivalenz.
Das Gedicht endet mit einer kraftvollen Wiederholung: „Du / Stehst / Das / Wunder!“ In dieser finalen Zeile wird das „Du“ zum Inbegriff des Wunders, der Ursache des Staunens und der Veränderung. Die Form des „Du“, das als feste, unveränderliche Entität dargestellt wird, steht im starken Kontrast zum „Ich“, das sich in Bewegung und Chaos verliert. Die Darstellung des „Du“ als „Wunder“ verweist auf eine göttliche oder übernatürliche Präsenz, die das „Ich“ in einem Zustand der Verwirrung und des Staunens zurücklässt.
Insgesamt vermittelt Stramm in „Wunder (Ich)“ eine dramatische Auseinandersetzung zwischen dem individuellen Selbst und einer übergeordneten, allmächtigen Präsenz. Die Wiederholungen und die ständige Bewegung im Gedicht erzeugen eine intensive Dynamik, die die existenzielle Spannung zwischen dem „Ich“ und dem „Du“ unterstreicht. Die Auseinandersetzung mit Raum, Zeit und dem Kosmos wird zu einem philosophischen Spiel, das die menschliche Erfahrung in ihrer Zerbrechlichkeit und zugleich in ihrer Streben nach Bedeutung und Orientierung darstellt.
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Lizenz und Verwendung
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