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Wankelmut

Von

Mein Suchen sucht!
Viel tausend wandeln Ich!
Ich taste Ich
Und fasse Du
Und halte Dich!
Versehne Ich!
Und Du und Du und Du
Viel tausend Du
Und immer Du
Allwege Du
Wirr
Wirren
Wirrer
Immer wirrer
Durch
Die Wirrnis
Du
Dich
Ich!

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Gedicht: Wankelmut von August Stramm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wankelmut“ von August Stramm ist ein eindrucksvolles Beispiel expressionistischer Lyrik, das durch seine radikale sprachliche Reduktion und emotionale Verdichtung ein inneres Seelendrama sichtbar macht. Im Zentrum steht ein Ich, das sich in einem Zustand der existenziellen Zerrissenheit und Identitätssuche befindet. Die Sprache wirkt fragmentiert, fast eruptiv – sie bildet keinen linearen Gedankenverlauf ab, sondern emotionale Zustände und Suchbewegungen.

Schon der erste Vers „Mein Suchen sucht!“ deutet auf ein zielloses, in sich kreisendes Verlangen hin, das sich selbst zum Inhalt hat. Das lyrische Ich zerfällt in „viel tausend“ wandelnde Ichs – eine Auflösung der Einheit des Selbst. Diese Vervielfachung suggeriert eine Identitätskrise, die durch das Suchen nach einem Gegenüber – dem „Du“ – weiter verstärkt wird. Die Berührung („Ich taste Ich / Und fasse Du“) zeigt das Bedürfnis nach Verbindung, doch bleibt die Fixierung auf das Du letztlich ungreifbar.

Die Steigerung von „Wirr / Wirren / Wirrer / Immer wirrer“ evoziert ein zunehmendes Chaos, das sich nicht nur im inhaltlichen Verlauf, sondern auch in der Form des Gedichts spiegelt. Die Sprache gerät ins Taumeln, Subjekt und Objekt verschwimmen, die Grenze zwischen Ich und Du wird unklar. Das Gedicht scheint von einem Sog aus Ungewissheit und Sehnsucht getragen zu sein, der in einer emotionalen und kognitiven Verwirrung kulminiert.

Sprachlich nutzt Stramm bewusst Ellipsen, Wiederholungen und eine fast mantrahafte Struktur, um die innere Bewegung des lyrischen Ichs darzustellen. Die Reihung von „Du und Du und Du“ drückt sowohl Obsession als auch Verlorenheit aus. Am Ende verdichten sich alle widersprüchlichen Kräfte auf wenige Worte: „Du / Dich / Ich!“ – eine Konfrontation der zentralen Pole des Gedichts, ungeklärt und offen.

„Wankelmut“ ist so ein poetischer Ausdruck existenzieller Unsicherheit. Stramm zeigt, wie das Ich sich im Du zu verorten versucht und dabei doch nur tiefer in die Wirrnis stürzt. Das Gedicht bringt auf eindringliche Weise das zerfallende Ich-Bewusstsein des Expressionismus zum Ausdruck – zerrissen zwischen Selbstsuche, Fremderfahrung und der Unmöglichkeit stabiler Identität.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.