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Kirchgang

Von

Die Berge läuten
Dein Gang wippt Sonnen
Die Hände funkeln
Lichten
Sternen
Der Kirchturm sonntagt
Raunt
Wo bist Du.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kirchgang von August Stramm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kirchgang“ von August Stramm verbindet in wenigen, dichten Zeilen Natur, Bewegung, Licht und eine leise, spirituelle Sehnsucht. Anders als viele seiner düsteren, kriegsnahen Werke zeigt sich hier ein zarter, fast mystischer Ton, der in der fragmentierten Sprache dennoch einen klaren emotionalen Kern offenbart.

„Die Berge läuten“ eröffnet das Gedicht mit einer synästhetischen Verschmelzung von Raum und Klang: Berge, normalerweise stumm, erzeugen hier ein sakrales Läuten – möglicherweise Glockengeläut zum Kirchgang, aber auch ein Symbol für eine überirdische, durchdringende Präsenz. Der Gang einer Person („Dein Gang wippt Sonnen“) wird zur Quelle von Licht und Bewegung: Der Mensch wird nicht als passiver Teil der Welt beschrieben, sondern als etwas, das sie zum Leuchten bringt.

In den folgenden Versen steigert sich dieses Leuchten weiter: „Die Hände funkeln / Lichten / Sternen“ – das Lichtmotiv erreicht hier eine fast himmlische, entrückte Dimension. Hände, eigentlich Symbol menschlichen Handelns, strahlen hier wie Sterne, was sowohl auf eine geistige Erhebung als auch auf Liebe oder Bewunderung deuten könnte. Das Bild erinnert an religiöse Transzendenz, aber auch an zwischenmenschliche Idealisierung.

Mit „Der Kirchturm sonntagt“ verwebt Stramm die Architektur des Glaubens mit der Atmosphäre des Sonntags – Tag der Einkehr, Stille und Begegnung mit dem Göttlichen. Die Neuschöpfung „sonntagt“ verleiht dem Kirchturm eine aktive Rolle: Er ist nicht nur Bauwerk, sondern vermittelt Stimmung, Zeitgefühl, Heiligkeit. Doch auf dieses Licht und diese Erhebung folgt der leise Einbruch des Persönlichen: „Raunt / Wo bist Du.“ Die letzte Zeile bringt einen Moment der Abwesenheit, der Suche, vielleicht auch des Verlustes.

„Kirchgang“ ist damit ein Gedicht über Schönheit, Vergeistigung und zugleich über Entfernung. Die Natur wird vergeistigt, der Mensch vergöttlicht – aber im Zentrum steht dennoch die Frage nach Nähe und Anwesenheit. In der spirituell aufgeladenen Welt bleibt ein leiser Ruf nach dem Du, das fehlt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.