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Abschied

Von

Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;
Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,
Es ist die Fahrt der Heimat abgekehrt.

Geht immerhin – denn eure Tat ist euer –
Und widerruft, was einst das Herz gebot;
Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu teuer,
Dafür euch in der Heimat euer Brot!

Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,
In Schmerz verstummte Klagen mißverstehn;
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,
Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn. –

Du, deren zarte Augen mich befragen, –
Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!
Laß nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,
Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.

Es strömt die Luft – die Knaben stehn und lauschen,
Vom Strand herüber dringt ein Möwenschrei;
Das ist die Flut! Das ist des Meeres Rauschen!
Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.

Von meinem Arm in dieser letzten Stunde
Blickt einmal noch in’s weite Land hinaus,
Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,
Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.

Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
Denn Raum ist auf der heimatlichen Erde
Für Fremde nur und was den Fremden dient.

Doch ist’s das flehendste von den Gebeten,
Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
Mit festem Fuß auf diese Scholle treten,
Von der sich jetzt mein heißes Auge trennt! –

Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
Auch noch auf diesem teuren Boden stand,
Hör mich! – denn alles andere ist Lüge –
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!

Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
So soll es wie ein Schauer dich berühren
Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Abschied von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abschied“ von Theodor Storm ist ein tief bewegtes Bekenntnis zur Heimat und zugleich eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem Verlust derselben. Im Zentrum steht das lyrische Ich, das gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen, aber innerlich nicht bereit ist, sich davon zu lösen. Die Sprache ist pathetisch und von einer großen emotionalen Dichte geprägt. Es geht um Treue, Identität und das Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Überzeugung und äußerem Zwang.

Bereits in der ersten Strophe zeigt sich die Sprachlosigkeit angesichts des Abschieds: „Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen“. Das Schweigen des Herzens wird als Zeichen tiefer Erschütterung dargestellt. Der „Wagen“ als Bild des Aufbruchs markiert eine endgültige Trennung, und doch bleibt das lyrische Ich innerlich verbunden mit der Heimat, deren Verlust es nicht verwinden kann. In den folgenden Strophen grenzt es sich scharf von jenen ab, die bereit sind, die Heimat gegen wirtschaftliche Sicherheit oder politischen Pragmatismus einzutauschen – sie „kaufen“ sich ihr Brot durch Anpassung, während der Sprecher an seiner inneren Wahrheit festhält.

Besonders eindrucksvoll ist die Verbindung von persönlicher Zuneigung und überzeitlichem Heimatbegriff. In der Ansprache an eine geliebte Person – vermutlich eine Ehefrau – wird deutlich, dass es eine emotionale Kontinuität gibt, die über den äußeren Bruch hinausreicht: „Es ist derselbe Schlag“. Auch die Beschreibung der Kinder, die dem Meeresrauschen lauschen, schafft ein Bild von gemeinsamer Erinnerung, von geteiltem Erleben, das durch den Abschied nicht ausgelöscht wird. Der Gedanke an das „Vaterhaus“, das im Boden selbst verankert ist, verleiht der Heimat eine mythische Tiefe.

In den letzten Strophen wendet sich der Sprecher eindringlich an sein jüngstes Kind. Hier verdichtet sich das Gedicht zu einem Appell: Heimat ist nicht nur Ort, sondern existenzielle Bedingung. „Kein Mann gedeihet ohne Vaterland“ – dieser Satz bringt das zentrale Anliegen auf den Punkt. Es geht um mehr als persönliche Biografie; es geht um kulturelle Verwurzelung, um die Frage, was ein Mensch ohne Heimat ist. Die emotionale Intensität steigert sich bis zum Schluss, wo sich Hoffnung und Verzweiflung mischen – die Hoffnung, dass zukünftige Generationen zurückkehren, und der Schmerz, selbst nicht bleiben zu können.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.