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Der Spruch

Von

In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort,
Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort:
Und wenn ich mich an trübe Lust vergebe,
Schein, Lug und Spiel zu mir anstatt des Wesens hebe,
Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge,
Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild verschlossne Tore trüge,
Und Worte wiederspreche, deren Weite nie ich ausgefühlt,
Und Dinge fasse, deren Sein mich niemals aufgewühlt,
Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht,
Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich,
Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich!

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Gedicht: Der Spruch von Ernst Stadler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Spruch“ von Ernst Stadler reflektiert auf tiefgründige Weise über das Streben nach Authentizität und das Versagen im Umgang mit der eigenen Existenz. Zu Beginn des Gedichts wird das „alte Buch“ als ein Symbol der Weisheit oder einer höheren Erkenntnis eingeführt, aus dem der Sprecher ein „Wort“ aufnimmt, das ihn zutiefst erschüttert. Dieses Wort wirkt wie ein „Schlag“, der den Sprecher an die grundlegenden Fragen seiner Existenz erinnert und ihn dazu zwingt, über seine Lebensweise nachzudenken. Es ist ein Moment der Erkenntnis, der den gesamten weiteren Verlauf seines Lebens beeinflusst.

Das Gedicht beschreibt eine Art Selbsttäuschung, die der Sprecher in seinem Leben entdeckt. Die „trübe Lust“, das „Schein, Lug und Spiel“, stehen für falsche, oberflächliche Vergnügungen, die der Sprecher anstelle der „Wesenhaftigkeit“ des Lebens sucht. Diese Selbstverleugnung wird als ein stetiges Abweichen von der Wahrheit und der Tiefe der eigenen Existenz dargestellt. Die Metaphern von „Dunklem“ und „tausend wild verschlossenen Toren“ deuten auf die unerforschte und verborgene Seite des Lebens hin, die der Sprecher ignoriert oder sich vor ihr fürchtet.

Es wird auch das Spiel mit Worten und oberflächlichen Begriffen thematisiert. Der Sprecher erkennt, dass er oft „Worte wiederspricht“, die er nicht wirklich verstanden oder durchlebt hat, und Dinge ergreift, deren „Sein“ ihn nie berührt hat. Dies ist eine scharfe Kritik an der oberflächlichen Wahrnehmung und einem Leben, das sich mit Illusionen und einem leeren Konsum von Eindrücken begnügt. Der „Tag und die Wirklichkeit entweichen“ ihm, was auf eine Entfremdung von sich selbst und der Welt hinweist.

Am Ende des Gedichts ruft das „Wort“ den Sprecher zur Rückkehr zur „Wesentlichkeit“. Es fordert ihn auf, sich von der Selbsttäuschung zu befreien und ein Leben zu führen, das wahrhaftig und in Einklang mit dem eigenen tiefsten Wesen steht. Es ist eine Aufforderung zur Reflexion und zur Suche nach einer authentischen Existenz, jenseits von oberflächlichem Schein und vorübergehenden Vergnügungen. In diesem Moment der Erkenntnis wird das „Wort“ zu einem Wegweiser, der den Sprecher aufruft, die wahre Bedeutung des Lebens zu suchen und sich nicht länger mit den falschen Aspekten des Lebens abzufinden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.