Nacht für Nacht
Wie helle Raupen kriechen die Chausseen
Aus Wäldern über Berge in die Tale.
Gestrandet liegen Wolken, groß wie Wale,
Still in der Abendröte blanken Seen.
Der Tag versiegt. Bis ihn die Frühen speisen,
Quillt schwarze Nacht aus allen Himmelsbronnen.
Die Sterne scheinen, kleine, ferne Sonnen.
Der Teich im Hofe glänzt wie dunkles Eisen.
Der Mond steht, wie ein Junge in der Pfütze,
Hell über jedem Garten. Und wie Gaze
Schimmert der Wald, des Berges blaue Mütze.
Aus einer Kleinstadt ragt des Kirchturms Vase
Verschnörkelt aus der Giebeldächer Nippes.-
Schlaf hält die Menschen fest, steif, wie in Gips.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Nacht für Nacht“ von Paul Boldt beschreibt in eindrucksvollen Bildern die Übergänge zwischen Tag und Nacht und die Stille, die die Landschaft in der Dunkelheit hüllt. Zu Beginn wird die Bewegung der „hellen Raupen“, die die Straßen entlangkriechen, mit einer surrealen Vorstellung verglichen, was dem Gedicht eine unheimliche, fast traumhafte Atmosphäre verleiht. Diese „Raupen“ können als Metapher für die endlosen, fortwährenden Reisen des Lebens verstanden werden, die sich in die Dunkelheit hinein verlagern, während die Natur in einem stillen Abendbild zum Leben erwacht. Die Wolken, „groß wie Wale“, scheinen fest und schwer in der Abendröte zu liegen, was die Schwere und Tiefe der Nacht betont.
In der zweiten Strophe wird das Vergehen des Tages symbolisiert durch die „schwarze Nacht“, die „aus allen Himmelsbronnen“ quillt. Diese Metapher zeigt, wie die Dunkelheit über die Welt kommt, um den Tag zu verschlingen, während die Sterne wie „kleine, ferne Sonnen“ leuchten und das Bild einer unendlichen Weite und Distanz vermitteln. Der „Teich im Hofe“ glänzt „wie dunkles Eisen“, was eine melancholische und fast mystische Atmosphäre schafft, als ob die Natur selbst in der Dunkelheit erst ihre wahre, tiefere Bedeutung offenbart.
Der Mond, der „wie ein Junge in der Pfütze“ steht, wird hier als ein fast kindlicher, unschuldiger Beobachter dargestellt, der in seinem Licht die Welt erleuchtet. Diese Vorstellung verstärkt das Gefühl der Intimität und der schüchternen Präsenz des Mondes. Der Wald, der „wie Gaze schimmert“, erscheint zart und fast ätherisch, während der Berg eine „blaue Mütze“ trägt – eine ruhige, sanfte Metapher für die Nacht, die sich über die Natur legt. Das Bild von Licht und Dunkelheit wird hier subtil miteinander verwoben, was den Übergang von Tag zu Nacht als einen natürlichen, aber auch geheimnisvollen Prozess darstellt.
In der letzten Strophe wird eine Kleinstadt beschrieben, deren „Kirchturms Vase“ aus den „Giebeldächer Nippes“ ragt. Diese Darstellung von Architektur als verschnörkelte Vase gibt der Stadt ein fast heiliges und zugleich eigenwilliges Aussehen, das in der Stille der Nacht in den Hintergrund tritt. Die Menschen in der Stadt sind von „Schlaf“ ergriffen, der sie „festhält, steif wie in Gips“, was die Vollkommenheit der Ruhe und den Verlust von Bewegung und Leben während der Nacht betont. Dieser Zustand des Stillstands und der Festigkeit reflektiert das Thema der Nacht als eine Zeit der Unveränderlichkeit und des stillen Rückzugs, in der die Welt in sich selbst ruht.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.