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Unsre Zeit

Von

Siegeslieder hört‘ ich singen
In den Gauen weit und breit;
Unsers Volkes Ruhm erklingen
In dem Spiel der Eitelkeit.
Haltet ein, betörte Lieder!
Gottes Flammen leuchten wieder
In das dunkle Meer der Zeit.

Sind die Dolche denn Befreier,
Selbst der eignen bangen Brust?
Werdet frei erst, wahrhaft freier,
Innen Gottes euch bewußt!
Werft vor Seiner Kraft euch wieder,
Vor dem ew’gen Rechte nieder;
Dann genießt der Ehre Lust!

Und ihr andern wollt beschwören
Durch ein künstlich Nichts den Sturm?
Wen kann solch Geweb‘ abwehren,
Selbst zernagt vom Lügenwurm?
Was nicht Gott erbaut, muß fallen;
Also ruft die Stimm‘ uns allen,
Nieder stürzt der Babelturm.

Fruchtet nichts mehr unser Beten,
Schließest Du der Gnade Born?
Willst die blut’ge Kelter treten,
Herr, in des Gerichtes Zorn?
Kommt der Heil’ge auf den Rossen,
Siegreich in des Worts Geschossen;
Schallt der Welt das Todeshorn?

Werfen wir ans Herz dem Vater
All die Schreckensorge nur;
Daß sein Licht uns dien‘ als Rater
Und sein Wort zur Lebensspur!
Es vergehn noch Sternentage,
Und Jahrhunderte voll Klage,
Eh‘ verklärt wird diese Flur.

Wenn dämonische Gewalten
Greifen an der Völker Herz;
„Wie läßt Gott sie also schalten?“
Klagen wir dann himmelwärts.
Soll sich neu die Welt gestalten,
Läßt er frei das Böse walten,
Bis das Licht entsteigt dem Schmerz.

Fluten seh‘ ich furchtbar rauschen
Über Fluten auf uns her;
Lüg‘ und Mord den Szepter tauschen,
Ein allblutig wildes Meer.
Niemand mag sich widerstemmen,
Keiner die Zerstörung hemmen;
Gott allein ist hier die Wehr.

Auf dem Meer doch haucht und lebet
Der das Licht dem Tod entreißt;
Und ob der Verwesung schwebet
Gottes ew’ger Lebensgeist.
Also wird ein lichter Morgen
Brechen durch der Menschen Sorgen,
Wie der Strahl der Schrift verheißt.

Als den Mann des Todes weckte
Einst der Heiland aus dem Graus,
Wo den Leichnam Moder deckte,
In des Grabes dunkelm Haus;
Wenn schon selbst im Geist erschüttert
Ob des Jammers Tief‘ er zittert,
Riß er ihn ans Licht heraus.

Denn es wirkt und schafft allmächtig
Sein befreiend Lebenswort.
Auf zum Himmel strahlt es mächtig,
Dringt bis in des Todes Ort;
Sturm und Meer sind ihm gewärtig,
Noch im Glauben gegenwärtig,
Führt’s die Flut gebietend fort.

Halte jeder fest den Anker,
Steige mutig nur ins Schiff;
Sicher fährt es hin ob schwanker
Meeresbahn und Klippenriff.
Durch die Fluten wird sich’s schlagen,
Hin zum Felsen rettend tragen,
Wer voll Glauben es ergriff.

Dieses Schiff ist es alleine
Was nie bricht in aller Zeit;
Dieser Felsen ist der eine
Feste Grund der Ewigkeit.
Wenn ihn Morgenrot umleuchtet,
Gottes Tau den Stein befeuchtet,
Blüht er auf in Herrlichkeit.

Hier ist himmlisch Heil zugegen,
Fruchtbar grünt des Lebens Baum;
Liebesarme hält entgegen
Hier das Kreuz dem Weltenraum.
Sicher aus der Felsenwahrung
Quillt die ew’ge Liebesnahrung
Und verklärt den ird’schen Traum.

Wenn die Wurzeln dieser Pflanze
Bis zum Abgrund niederziehn,
Ist die Geisterwelt im Glanze
Voll von ihrer Zweige Blühn.
Hier auch soll sie sich ausbreiten,
Und der Wechsel aller Zeiten
Ist nur ihres Laubes Grün.

Also laßt den Kampf uns tragen,
Unser Felsen wanket nicht;
Noch der Welten Sturz beklagen,
Bis Gott ruft: „Es werde Licht!“
Laßt uns streun des Lichtes Samen,
„Treu und Wahrhaft“ ist Sein Namen,
Und gerecht ist das Gericht.

Ward aus Abend dann und Morgen
Einst der neue Schöpfungstag,
Wo, was Herrliches verborgen
War, vor Gott erglänzen mag;
Wird zum Paradies die Wüste,
Kraft des Strahls, den hier begrüßte
Unsrer Liebe Flügelschlag.

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Gedicht: Unsre Zeit von Friedrich Schlegel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Unsre Zeit“ von Friedrich Schlegel ist eine religiös durchdrungene Reflexion auf die politische, gesellschaftliche und geistige Krise der Gegenwart – mutmaßlich im Kontext der napoleonischen Kriege. Schlegel verbindet in diesem Gedicht zeitkritische Analyse mit einer apokalyptisch-christlichen Hoffnungsperspektive. Der Text stellt sich gegen oberflächlichen Nationalismus und politische Hybris, und ruft stattdessen zur inneren Umkehr und zum Glauben an göttliche Ordnung auf.

Schon in der ersten Strophe kritisiert Schlegel die „Siegeslieder“ und die „Eitelkeit“ patriotischer Selbstruhmung. Statt solcher weltlicher Begeisterung fordert das lyrische Ich eine Hinwendung zu Gott – „Gottes Flammen leuchten wieder“ –, was als Aufruf zur geistigen Erneuerung verstanden werden kann. Diese Wendung nach innen, zu einer religiös verstandenen Freiheit, bildet das zentrale Gegenbild zur äußeren, durch Gewalt und Politik erzwungenen Befreiung. Freiheit, so Schlegel, kann nur durch Bewusstsein göttlicher Wahrheit und durch Selbstüberwindung erreicht werden.

In prophetischem Ton kritisiert das Gedicht auch jene Kräfte, die versuchen, mit leeren Ideologien („ein künstlich Nichts“) politische Ordnungen zu erhalten oder zu stürzen. Wie der Turmbau zu Babel müsse alles fallen, was nicht von Gott getragen ist. Diese biblischen Bilder – Babelturm, das Gericht Gottes, der „Heilige auf den Rossen“ – verstärken die apokalyptische Bildsprache und unterstreichen das Weltgericht als unausweichlichen Endpunkt der menschlichen Selbstherrlichkeit.

Trotz der düsteren Diagnose – Fluten der Lüge, Mord, Verderben – bietet das Gedicht Hoffnung: In der tiefsten Not ist Gott die einzige Wehr, sein „Lebenswort“ durchbricht sogar die Todeswelt. Die auferweckende Kraft Christi, der selbst den Toten ins Leben ruft, dient als Metapher für die Erneuerung der Menschheit. Das „Schiff“, das durch die Fluten trägt, und der „Felsen“, der nicht wankt, symbolisieren Glauben und Christus als einzig beständige Rettung. Diese Hoffnung richtet sich weniger auf politische Erlösung als auf eine geistige Umwandlung der Welt.

Im letzten Teil wird das Kreuz als Lebensbaum dargestellt, der mit seinen Wurzeln bis in den Abgrund reicht und aus dem Paradies wieder hervorgehen kann. Die Vision einer neuen Schöpfung, eines göttlich hergestellten Friedensreichs, krönt das Gedicht mit einem eschatologischen Ausblick. Schlegel formuliert hier eine poetisch-theologische Zukunftsvision, die in radikalem Kontrast zur zerrissenen Gegenwart steht. „Unsre Zeit“ ist damit nicht nur ein geistliches Gedicht, sondern ein leidenschaftliches Plädoyer für Umkehr, Glaube und geistige Erneuerung als einzig tragfähige Antwort auf geschichtliche Krisen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.