Der Abend
Senke, strahlender Gott – die Fluren dürsten
Nach erquickendem Thau, der Mensch verschmachtet,
Matter ziehen die Rosse –
Senke den Wagen hinab!
Siehe, wer aus des Meers krystallner Woge
Lieblich lächelnd dir winkt! Erkennt dein Herz sie?
Rascher fliegen die Rosse,
Tethys, die göttliche, winkt.
Schnell vom Wagen herab in ihre Arme
Springt der Führer, den Zaum ergreift Cupido,
Stille halten die Rosse,
Trinken die kühlende Fluth.
An dem Himmel herauf mit leisen Schritten
Kommt die duftende Nacht; ihr folgt die süße
Liebe. Ruhet und liebet!
Phöbus, der liebende, ruht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Abend“ von Friedrich von Schiller beschreibt in einer kunstvollen und bildhaften Sprache den Übergang von Tag zu Nacht, wobei der Abend als eine göttliche Macht dargestellt wird, die über die Welt herrscht und den Menschen und die Natur in eine Phase der Ruhe und des Friedens führt.
Zu Beginn fordert der Sprecher den „strahlenden Gott“ Phöbus, die Sonne, auf, ihren Wagen zu senken, da sowohl die Natur als auch der Mensch nach Erfrischung und Ruhe dürsten. Die Sonne wird als göttliche Kraft personifiziert, die die Tageszeit beherrscht und die Welt mit Licht erfüllt. Doch der Tag neigt sich dem Ende zu, und mit dem Sinken der Sonne folgt eine Zeit des Erwachens der Nacht. Diese wird nicht als Dunkelheit, sondern als eine „duftende“ und „süße“ Erscheinung beschrieben, die den Tag sanft ablöst.
Im Übergang von Tag zu Nacht kommt eine göttliche Figur – Tethys, die Meeresgöttin – ins Bild, die dem Wagen der Sonne zuwinkt. Sie repräsentiert die sanfte Ruhe und Erfrischung, die der Abend den Menschen bringt. Die Rosse des Sonnenwagens, die den Tag getragen haben, werden jetzt in die kühle „Fluth“ des Meeres geführt, was als Symbol für den Übergang in eine friedliche Nacht zu verstehen ist. Der Einsatz von Tethys und Cupido, der als „Zaum“ für die Rosse fungiert, verstärkt das Gefühl von Zärtlichkeit und Zuneigung, das der Abend symbolisiert.
Der letzte Abschnitt bringt das Bild von Phöbus, der Sonne, die nun selbst in den Armen der Nacht ruht, und der Liebe, die ihr folgt. Es ist ein Bild des Friedens und der Harmonie, in dem der Tag in den Nachtfrieden übergeht, begleitet von der Liebe, die die perfekte Vollendung dieser Ruhe darstellt. Schiller fängt hier die Atmosphäre des Abends in einer idealisierten Form ein, indem er die Naturkräfte mit göttlichen und liebenden Wesen versieht, die für Ausgleich und Vollkommenheit sorgen. Die Nacht ist nicht nur ein Zeitpunkt der Dunkelheit, sondern ein Moment der Erneuerung und des Friedens.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.