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Vertrauen

Von

Wer giebt uns unsern Kinderglauben
An eine treue Welt zurück?
Ach, schließt den allzu scharfen Blick!
Was uns die Zuversicht kann rauben,
Zerstört des Herzens Glück.

Dein denkt mein Geist mit Wohlgefallen,
O Zeit, wenn, fremd in klüg’rer Welt,
Man traut zu jedem sich gesellt,
Und arglos, wie die Nachtigallen,
In offne Schlingen fällt.

O Glück, noch kindlich hinzulangen
Nach Blumen, eh‘ man sie benennt,
Nach Freuden, die man halb nur kennt;
Wenn unser Blick, kaum aufgegangen,
Nicht Schein und Wesen trennt!

Ihr Tage, wo wir klüger werden,
Wie schwül ist euer Mittagslicht,
Wenn die Erfahrung warnend spricht:
Vollkommen weilet nichts auf Erden!
Was blühet, währet nicht.

Wohl dann dem liebenden Gemüte,
Das sein Vertrauen rein bewahrt,
Und, sein Gefühl sei noch so zart,
Nie zweifelt an des Edeln Güte,
Noch an der Menschen Art.

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Gedicht: Vertrauen von Johann Gaudenz von Salis-Seewis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vertrauen“ von Johann Gaudenz von Salis-Seewis thematisiert den Verlust des kindlichen Vertrauens in die Welt und die Sehnsucht nach der Unschuld und Naivität der Jugend. Der Sprecher beklagt die Ernüchterung, die mit wachsender Erfahrung einhergeht, und preist jene, die trotz aller Enttäuschungen ihr reines Vertrauen bewahren können.

Im ersten Abschnitt wird der Kontrast zwischen dem Kinderglauben und der schmerzhaften Klarheit des Erwachsenenblicks dargestellt. Der „allzu scharfe Blick“ führt dazu, dass die Zuversicht verloren geht und damit auch das Glück des Herzens. Bereits hier wird die zentrale Spannung zwischen Erkenntnis und emotionaler Unversehrtheit etabliert.

In den folgenden Strophen erinnert sich das lyrische Ich mit Wehmut an eine Zeit der Arglosigkeit, in der Vertrauen selbstverständlich war. Die Metapher der Nachtigall, die ohne Argwohn in eine Falle gerät, verdeutlicht diese Haltung: Es ging nicht darum, Gefahren zu erkennen, sondern frei und unbedarft zu leben. Auch das Motiv des kindlichen Zugreifens nach Blumen und Freuden beschreibt eine unmittelbare, unreflektierte Lebensfreude, die durch zunehmende Erkenntnis verloren geht.

Mit der Reife und dem „Mittagslicht“ der Erkenntnis wird das Leben schwerer und schmerzlicher – die Erfahrung lehrt, dass nichts Vollkommenes auf Erden von Dauer ist. Trotzdem hält das Gedicht am Ideal eines liebenden Gemüts fest, das seine Fähigkeit zum Vertrauen bewahrt. In der letzten Strophe wird jene innere Haltung gepriesen, die trotz aller Enttäuschungen nicht an der Güte edler Menschen zweifelt. Damit schließt das Gedicht mit einem Appell an die Kraft des Herzens über die nüchterne Vernunft hinaus.

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.