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Vor den Thüren

Von

Ich habe geklopft an des Reichtums Haus!
Man reicht‘ mir ’nen Pfennig zum Fenster heraus.

Ich habe geklopft an der Liebe Thür!
Da standen schon funfzehn andre dafür.

Ich klopfte leis‘ an der Ehre Schloß;
„Hier thut man nur auf dem Ritter zu Roß.“

Ich habe gesucht der Arbeit Dach;
Da hört‘ ich drinnen nur Weh und Ach!

Ich suchte das Haus der Zufriedenheit;
Es kannt‘ es niemand weit und breit.

Nun weiß ich noch ein Häuslein still,
Wo ich zuletzt anklopfen will.

Zwar wohnt darin schon mancher Gast,
Doch ist für viele im Grab noch Rast.

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Gedicht: Vor den Thüren von Friedrich Rückert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vor den Thüren“ von Friedrich Rückert schildert in eindrücklicher Kürze eine bittere Suche nach Erfüllung im Leben. Der Sprecher klopft nacheinander an die Türen des Reichtums, der Liebe, der Ehre, der Arbeit und der Zufriedenheit – doch jede Tür bleibt ihm im Wesentlichen verschlossen oder offenbart sich als Enttäuschung. Rückert zeichnet damit ein Bild menschlicher Entbehrung und vergeblicher Hoffnungen.

Die einzelnen Stationen sind von Resignation und scharfer Beobachtung geprägt: Ein mickriger Pfennig statt Reichtum, ein überfüllter Zugang zur Liebe, das ausschließliche Privileg der Ehre für die Hochgestellten, die Arbeit, die nicht Erfüllung, sondern Klage bringt – und schließlich das kaum auffindbare Haus der Zufriedenheit. Jede Szene entlarvt eine gesellschaftliche oder menschliche Schwäche.

Die Wendung am Ende des Gedichts ist von dunkler Ironie getragen. Nachdem sich alle Hoffnungen auf Erden als Illusionen herausgestellt haben, bleibt dem Sprecher nur noch das Grab als letzte Zuflucht. Doch selbst dort ist die „Aufnahme“ nicht exklusiv, sondern es ruhen schon viele, was die tiefe Hoffnungslosigkeit des Gedichts unterstreicht.

Mit schlichter, volksliedhafter Sprache und klaren, eingängigen Bildern gelingt es Rückert, die großen Enttäuschungen des Lebens auf eine fast lakonische Weise darzustellen. Das Gedicht ist dabei zugleich eine Anklage an die Unbarmherzigkeit der Welt und ein resigniertes Eingeständnis menschlicher Ohnmacht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.