Willst Welt und Menschen recht verstehn
Willst Welt und Menschen recht verstehn,
Mußt du ins eigne Herz dir sehn.
Willst du dich selbst recht kennenlernen,
Mußt du dich aus dir selbst entfernen.
Wer sich beurteilt nur nach sich,
Gelangt zu falschen Schlüssen –
Du selbst erkennst so wenig dich,
Als du dich selbst kannst küssen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Willst Welt und Menschen recht verstehn“ von Friedrich von Bodenstedt beschäftigt sich mit der Frage der Selbsterkenntnis und dem Verhältnis zwischen dem inneren Selbst und der Außenwelt. Die ersten beiden Zeilen fordern dazu auf, „ins eigne Herz“ zu sehen, um „Welt und Menschen recht zu verstehn“. Dies impliziert, dass die wahre Erkenntnis der Welt und anderer Menschen nur durch die Selbsterkenntnis erlangt werden kann. Es ist ein Aufruf, in sich selbst zu blicken und sich mit den eigenen Gefühlen und Gedanken auseinanderzusetzen, um ein tieferes Verständnis für die äußere Welt zu entwickeln.
Im zweiten Teil des Gedichts wird jedoch die Schwierigkeit betont, sich selbst richtig kennenzulernen. „Willst du dich selbst recht kennenlernen, / Mußt du dich aus dir selbst entfernen“ – hier wird ein Paradoxon formuliert. Um sich selbst wahrhaft zu erkennen, muss man sich von sich selbst distanzieren, was die Schwierigkeit der Selbsterkenntnis unterstreicht. Es reicht nicht aus, nur auf das eigene Innere zu blicken, sondern es ist notwendig, eine gewisse Objektivität oder einen Abstand zu sich selbst zu gewinnen, um das eigene Wesen in seiner wahren Form zu begreifen.
Die letzten zwei Verse erweitern diese Gedanken, indem sie auf die Fehleinschätzungen hinweisen, die entstehen können, wenn man sich nur auf das eigene Urteil verlässt: „Wer sich beurteilt nur nach sich, / Gelangt zu falschen Schlüssen.“ Die eigenen Wahrnehmungen und Bewertungen sind oft verzerrt, und ohne den Blick von außen oder eine objektive Perspektive sind die Schlussfolgerungen, die man über sich selbst zieht, oft unvollständig oder falsch. Die Zeile „Du selbst erkennst so wenig dich, / Als du dich selbst kannst küssen“ verstärkt diese Idee, indem sie ein Bild von Selbstverliebtheit und Unfähigkeit zur echten Selbstwahrnehmung zeichnet. Es ist eine metaphorische Weise zu sagen, dass man sich selbst nur schwer wirklich erfassen kann, solange man in sich selbst verhaftet bleibt.
Insgesamt fordert Bodenstedt in diesem Gedicht zur Auseinandersetzung mit sich selbst auf, während er gleichzeitig die Komplexität und Schwierigkeit der echten Selbsterkenntnis betont. Die Weisheit des Gedichts liegt in der Erkenntnis, dass wir uns nur dann wahrhaft verstehen können, wenn wir in der Lage sind, uns selbst aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten und uns nicht nur auf unsere eigenen, oft ungenauen, Wahrnehmungen zu verlassen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.