Um Mitternacht
Um Mitternacht
Hab‘ ich gewacht
Und aufgeblickt zum Himmel;
Kein Stern vom Sterngewimmel
Hat mir gelacht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Hab‘ ich gedacht
Hinaus in dunkle Schranken;
Es hat kein Lichtgedanken
Mir Trost gebracht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Nahm ich in Acht
Die Schläge meines Herzens;
Ein einz’ger Puls des Schmerzens
War angefacht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Kämpft‘ ich die Schlacht
O Menschheit deiner Leiden;
Nicht konnt‘ ich sie entscheiden
Mit meiner Macht
Um Mitternacht.
Um Mitternacht
Hab‘ ich die Macht
In deine Hand gegeben:
Herr über Tod und Leben,
Du hältst die Wacht
Um Mitternacht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Um Mitternacht“ von Friedrich Rückert beschreibt eine existenzielle Erfahrung tiefster Dunkelheit und innerer Anfechtung. Die wiederkehrende Zeitangabe „Um Mitternacht“ betont die Einsamkeit und Ausgesetztheit des lyrischen Ichs in der Stunde, die traditionell als Grenzzeit zwischen Leben und Tod, zwischen Wachen und Träumen gilt.
In mehreren Stufen schildert der Sprecher seine Suche nach Trost und Orientierung: Der Himmel bleibt dunkel, Gedanken bringen keinen Trost, das eigene Herz schlägt schmerzlich und erinnert an die Leiden der Menschheit. Rückert zeigt hier die völlige Vereinsamung und die Erkenntnis der eigenen Ohnmacht gegenüber dem Leid der Welt.
Besonders eindrucksvoll ist die Wendung im letzten Abschnitt des Gedichts. Nachdem der Sprecher alle irdische Hoffnung als unzureichend erlebt hat, gibt er die Macht bewusst in die Hand einer höheren Instanz – Gott. Damit wird die Nacht nicht nur zur Zeit der Verzweiflung, sondern auch zur Zeit des Glaubens und der Übergabe an ein höheres, tröstendes Prinzip.
Die Sprache des Gedichts ist schlicht, dabei aber von eindringlicher Musikalität geprägt. Die wiederholte Struktur der Strophen und die konsequente Wiederkehr der Phrase „Um Mitternacht“ schaffen einen beschwörenden Rhythmus, der die existenzielle Tiefe und den spirituellen Ernst des Gedichts verstärkt. Rückert gelingt es, die Schwelle zwischen Angst und Vertrauen auf eindrucksvolle Weise zu gestalten.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.