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Die goldne Hochzeit

Von

„Brechet auf den Felsenschacht,
Der geruht hat lang;
Zieht hervor aus seiner Nacht
Goldnen Überschwang!
Sprenget auf den Grubengang,
Daß die Wunderpracht,
Die er längst in sich verschlang
Sei an’s Licht gebracht!“
Höret ihr, wie auf den Höhn
Zither spielt der Geist,
Wie uns lockend sein Getön
Hier zur Bergwand weist?
Rühret Arm‘ und Waffen dreist,
Wühlet mit Gedröhn,
Bis der Fund, den er verheißt,
Daliegt goldenschön! –

Und die Schar der Knappen bringt,
Sonder Zeitverlust,
Schaufel, Karst und Hack‘, und schwingt
Sie mit Macht und Lust,
Bis ihr Fleiß den tauben Wust
Des Gesteins bezwingt,
Und entgegen Erzgekrust
Ihren Streichen springt.

Aber aus dem offenen Spalt
Was man sich verspricht,
Zieht man jetzt den Reichgehalt
Schweren Goldes nicht;
Staunend aus der Nacht ans Licht
Zieht man die Gestalt
Eines Jünglings, von Gesicht
Schön, doch todeskalt.

Und da liegt er jung und zart,
Wie ein Lilienreis;
Ihn bewundernd steht geschart
Rings ein weiter Kreis.
Recht als ob zu Gottes Preis
Er sei aufbewahrt,
Liegt er da, geschmückt mit Fleiß,
Wie nach Bräut’gams Art.

Gold ist seiner Schuhe Rand,
Goldstoff wunderklar
Wirkt sein schlichtes Leibgewand
Ihm zum Festtalar;
Golden schlingt der Ringe Paar
Sich um jede Hand,
Und um sein schon goldnes Haar
Spielt ein goldnes Band.

Kann die Erd‘ im stillen Raum,
Wo sie Wunder tut,
Wandeln so in goldnen Traum
Staub, Gebein und Blut?
Selbst der Strauß, der ihm geruht,
An des Busens Saum
Blüht verwandelt, wohlbehuht
Dort als goldner Baum.

Wer sagt an, wie lang es mag
Sein, daß er verscholl?
Schlaget eure Chronik nach,
Die es wissen soll!
Seht, da steht: Im Berggeroll
Heut ein Knapp‘ erlag.
Heut? ja, fünfzig Jahre voll
Zählts bis heut zum Tag.

Niemand mehr, der ihn gekannt,
Der befreundt ihm war?
Dem er Bruder war genannt,
Oder Liebster gar?
Hätt‘ umsonst ihn, wunderbar
Uns der Geist gesandt?
Halt! hier stellt sich eines dar,
Dem er ist verwandt.

Durch den Strom der Menge bricht,
Die mit Staunen weicht,
Eine Greisin; stört sie nicht,
Wie sie näher schleicht!
Die, wie sie den Platz erreicht,
Tränend ihr Gesicht
Zu dem Jüngling niederneigt,
dann es hebt und spricht:

Nein! ob schweigen auch der Mund
Eurer Bücher mag,
Eine treue Todeskund‘
ist ihm blieben nach;
Treu, wie er bewahret lag
in des Felsens Schlund,
Lag er auch bis diesen Tag
Mir in Herzens Grund.

Die ihr mich von Haupt und Haar
zitternd und ergraut
Sehet, heut vor fünfzig Jahr
War ich seine Braut.
Er hier, den ihr vor mir schaut
Liegen goldenklar,
Sollt als Bräut’gam mir vertraut
Werden am Altar.

Wartend stand das Brautgemach
Auf den Bräutigam,
Als mit ihm die Bergschlucht brach,
Ihn hinunter nahm.
Nicht einmal zu Ohren kam
Mir sein letztes Ach,
Statt des Bräut’gams kam der Gram
Zu mir tausendfach.

Fünfundzwanzig Jahr ist viel,
Wer sie zählt wie ich;
Langsam zählt‘ ich, bis zum Ziel
Fünfundzwanzig schlich.
Als das Haar schon silberlich
Um die Stirne fiel
Fand die Silberhochzeit mich
Ohne Tanz und Spiel.

Fünfundzwanzig noch einmal
Gingen mir vorbei,
Daß ich heut, gebückt und kahl,
Goldhochzeitrin sei.
Welche Wunderzauberei
Bringt an Tages Strahl
Mir zur Goldhochzeit herbei
Golden den Gemahl?

Aber, weh, darf ich mich nahn
Dir mit Liebkosung?
Du bist schimmernd angetan
Golden, schön und jung.
Barg Dich Grabes Dämmerung
Vor der Zeiten Zahn?
Doch mich traf Verwitterung
Auf des Lebens Bahn.

Himmels Mächte, deren Schluß
Aus des Todes Reich
Ihn zu hochzeitlichem Gruß
Sendet schimmerreich;
Ach was hilft’s, wenn todesbleich
Ich ihm bleiben muß,
Braut dem Bräutigam nicht gleich
Wird im Liebeskuß!

Also ruft sie, schweigt und bückt
sich dem Jüngling nah,
Auf die frische Lippe drückt
Sie die welke, ha!
Eh sie weiß, wie ihr geschah,
Hat es sie durchzückt,
Schön verwandelt steht sie da,
Jugendlich geschmückt.

Leuchtend, wie ihr Junggesell,
Selbst ein Jungfraunbild,
Steht sie da, ihr Aug‘ ein Quell,
Der von Feuer quillt.
Ihrer Wange Rose schwillt
Und der Locken Well‘,
Weils der goldnen Hochzeit gilt,
Wallet golden hell.

Also steht sie dort, und hebt
Sanft den Blick auf ihn,
Und ein täuschend Lächeln webt
Flüchtig über ihn;
Wie sie so sieht lächeln ihn,
Schrickt sie auf und bebt
Ihre Leiche sinkt auf ihn,
Ihre Seel entschwebt.

Die bewegte Meng‘ umkreist
Still das ruh’nde Paar,
Das, an Jahren hochergreist,
Jung gestorben war.
Fern herüber hell und klar
Zither spielt der Geist
Über der erstaunten Schar,
Die sein Wunder preist.

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Gedicht: Die goldne Hochzeit von Friedrich Rückert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die goldne Hochzeit“ von Friedrich Rückert erzählt eine berührende, märchenhafte Geschichte über Liebe, Treue und die Überwindung von Zeit und Tod. Im Mittelpunkt steht eine alte Frau, die nach fünfzig Jahren, am Tag ihrer „Goldenen Hochzeit“, ihrem einst verschütteten Bräutigam wiederbegegnet, der unverändert jung aus dem Berg geborgen wird. Diese wunderbare Wiederbegegnung endet in einer Verklärung, in der auch die Greisin verjüngt wird und die Liebenden schließlich gemeinsam sterben.

Zentrales Thema des Gedichts ist die Unvergänglichkeit wahrer Liebe. Rückert zeigt, dass echte Bindung nicht an körperliche Schönheit oder die Spuren der Zeit gebunden ist. Die Treue der Braut über ein halbes Jahrhundert hinweg wird durch ein Wunder belohnt: Im Moment der Wiedervereinigung wird sie selbst wieder jung, doch die Vereinigung bleibt nur in der Überwindung des irdischen Lebens möglich. Damit verknüpft das Gedicht irdische Liebe mit einer transzendenten Hoffnung.

Rückert verwendet eine erzählerische, detailreiche Sprache und reiche Bildlichkeit. Besonders eindrucksvoll sind die goldenen Motive – das Gold des Brautkleides, die Goldene Hochzeit, das goldene Licht –, die nicht nur Reichtum oder Glanz, sondern eine tiefe symbolische Reinheit und Kostbarkeit der Liebe darstellen. Der Wechsel zwischen dramatischer Erzählung und ruhiger, fast andächtiger Schilderung verleiht dem Gedicht einen feierlichen, rührenden Charakter.

Insgesamt entfaltet „Die goldne Hochzeit“ eine poetische Vision, in der Liebe alle irdischen Begrenzungen überdauert. Die Liebenden, die trotz der Härte der Zeit zueinander stehen, finden in der Vereinigung des Todes eine triumphale Erfüllung. Das Gedicht feiert die Ewigkeit der Gefühle in einer Welt, die von Wandel und Vergänglichkeit geprägt ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.