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Mein Wannenbad

Von

Es muss wieder mal sein.
Also: Ich steige hinein
in zirka zwei Kubikmeter See.
Bis übern Bauch tut es weh.

Das Hähnchen plätschert in schamlosem Ton,
ich atme und schnupfe den Fichten-Ozon,
Beobachte, wie die Strömung läuft.
Wie dann clam, langsam mein Schwamm sich besäuft
und ich ersäufe, um allen Dürsten
gerecht zu werden, verschiedene Bürsten.
Ich seife, schrubbe, ich spüle froh.
Ich suche auf Ausguck
vergebens nach einem ertrinkenden Floh,
doch fort ist der Hausjuck.

Ich lehne mich weit und tief zurück,
genieße schaukelndes Möwenglück.
Da taucht aus der blinkenden Fläche, wie
eine Robinsoninsel, plötzlich ein Knie;
dann – massig – mein Bauch – eines Walfisches Speck.
Und nun auf den Wellen (nach meinem Belieben
herangezogen, davon getrieben),
als Wogenschaum spielt mein eigenster Dreck
und auf dem Gipfel neptunischer Lust,
klebt sich der Waschlappen mir an die Brust.

Brust, Wanne und Wände möchten zerspringen,
denn ich beginne nun, dröhnend zu singen
die allerschwersten Opern-Kaliber.
Das Thermometer steigt über Fieber,
das Feuer braust und der Ofen glüht,
aber ich bin schon so abgebrüht,
dass mich gelegentlich Explosionen –
wenn’s an mir vorbei geht –
erfreu‘ n, weil manchmal dabei was entzwei geht,
was Leute betrifft, die unter mir wohnen.

Ich lasse an verschiedenen Stellen
nach meinem Wunsch flinke Bläschen entquellen,
erhebe mich mannhaft ins Duschengebraus.
Ich bück‘ mich. Der Stöpsel rülpst sich heraus
und während die Fluten sich gurgelnd verschlürfen,
spannt mich das Bewusstsein wie himmlischer Zauber,
mich überall heute zeigen zu dürfen,
denn ich bin sauber. ~~~~

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Mein Wannenbad von Joachim Ringelnatz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mein Wannenbad“ von Joachim Ringelnatz schildert in humorvoller, selbstironischer Weise das Erlebnis eines ausgiebigen Badetages. Im Zentrum steht das Bad als eine Mischung aus Abenteuer, Naturerlebnis und kindlicher Freude am eigenen Körper und der Wasserbewegung. Der Sprecher beschreibt detailverliebt und übertrieben, wie er sich dem Ritual hingibt – von der schmerzhaften Kälte des Wassers über das genüssliche Schrubben bis hin zum theatralischen Gesang.

Ringelnatz setzt eine bildhafte und verspielte Sprache ein, die das Wannenbad in eine kleine Seeschlacht oder eine Robinsonade verwandelt. Das aufsteigende Knie wird zur Insel, der Bauch erinnert an einen Walfisch, und der Schmutz spielt als „Wogenschaum“ auf den Wasserwellen. Diese phantasievollen Vergleiche geben dem banalen Vorgang eine epische Größe und unterstreichen zugleich die Komik des Moments.

Die Übertreibung gipfelt in der Beschreibung der gesanglichen Darbietung, bei der die „Wände zerspringen“ könnten, und in den angedeuteten Folgen für die Hausgemeinschaft, wenn durch Explosionen und Erschütterungen das Bad zum gefährlichen Ereignis wird. Damit spielt das Gedicht mit dem Motiv des kleinen Mannes, der sich für einen Moment in seinem eigenen Kosmos zum Helden erhebt.

Am Ende kulminiert die Szene in der stolzen, fast triumphalen Feststellung, nun „sauber“ zu sein. Mit dieser Mischung aus Übertreibung, Selbstironie und sprachlicher Verspieltheit verwandelt Ringelnatz eine alltägliche Tätigkeit in ein lebensfrohes, anarchisches Spektakel. Möchtest du zusätzlich noch eine kurze Übersicht der zentralen Stilmittel erhalten?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.