Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei verjährt
Doch nimmer vergessen
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ich habe dich so lieb“ von Joachim Ringelnatz entfaltet in einfacher, fast kindlicher Sprache eine tief empfundene, melancholische Liebeserklärung. Bereits die erste Strophe, in der das lyrische Ich anbietet, eine Ofenkachel zu schenken, verdeutlicht die Wärme und Selbstverständlichkeit seiner Zuneigung. Die Geste ist unscheinbar und doch voller Intimität – ein kleines, alltägliches Opfer als Ausdruck großer Nähe.
Im weiteren Verlauf mischt sich Traurigkeit in die Liebeserklärung. Der Sprecher erinnert sich an vergangene Momente, schildert die Schönheit des Ginsters an der Eisenbahnstrecke und reflektiert das Vergehen der Zeit. Das Motiv der Reise symbolisiert hier das Weiterziehen des Lebens, die Vergänglichkeit und das stille Abschiednehmen. Trotz des Schmerzes bleibt die Liebe erhalten, wird jedoch leiser und zarter, wie ein Nachklang vergangener Nähe.
Ringelnatz arbeitet mit schlichten, beinahe naiv wirkenden Bildern und kurzen, sprunghaften Gedankenfolgen, die das Flüchtige und Unfassbare von Emotionen einfangen. Die beiläufige Erwähnung eines bellenden Hundes, der nicht lesen und schreiben kann, wirkt zunächst absurd, doch sie verstärkt das Gefühl einer existenziellen Unbeholfenheit gegenüber dem Vergehen der Zeit und der Liebe.
Am Ende kehrt das Gedicht zu einem leichten, fast versöhnlichen Ton zurück: Das Bild vom Sieb, bei dem die Löcher – das Fehlende – die Hauptsache sind, spiegelt eine weise, schmerzhafte Einsicht wider. Trotz aller Verluste und Vergänglichkeit bleibt die schlichte Aussage bestehen: „Ich habe dich so lieb.“ Diese Reduktion auf das Wesentliche verleiht dem Gedicht seine stille, tief berührende Kraft. Möchtest du noch eine kurze Analyse zur Struktur und Wirkung der Sprunghaftigkeit im Gedicht?
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.