Wilder Rosenbusch
Wie steht er da vor den Verdunkelungen
des Regenabends; jung und rein;
in seinen Ranken schenkend ausgeschwungen
und doch versunken in sein Rose-sein;
die flachen Blüten, da und dort schon offen,
jegliche ungewollt und ungepflegt:
so, von sich selbst unendlich übertroffen
und unbeschreiblich aus sich selbst erregt,
ruft er dem Wandrer, der in abendlicher
Nachdenklichkeit den Weg vorüberkommt:
Oh sieh mich stehn, sieh her, was bin ich sicher
und unbeschützt und habe was mir frommt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Wilder Rosenbusch“ von Rainer Maria Rilke beschreibt in einer sehr bildhaften und sensuellen Weise die Schönheit und das wilde Leben eines Rosenbusches. Der Sprecher setzt den Rosenbusch in Beziehung zu einem „Regenabend“, einer Zeit der Verdunkelung, was die melancholische Stimmung unterstreicht. Trotz des dunklen, herannahenden Abends steht der Rosenbusch „jung und rein“ und zeigt sich in seiner vollen Blüte. Diese Bildsprache symbolisiert die Unschuld und die Reinheit der Natur, die sich trotz der äußeren Dunkelheit behauptet. Der Rosenbusch ist gleichzeitig wild und ungebunden, er „schwenkt“ seine Ranken, und doch bleibt er „versunken in sein Rose-sein“, was darauf hindeutet, dass er sich selbst in seiner natürlichen Form und seiner Wesensart vollkommen verwirklicht und in sich selbst ruht.
In der zweiten Strophe wird die Ungepflegtheit des Rosenbusches betont. Die Blüten sind „da und dort schon offen“ und wirken „ungewollt“, was den Rosenbusch von einer idealisierten, menschlichen Vorstellung von Schönheit entfernt. Diese Blüten sind nicht gezähmt oder gepflegt, sondern folgen ihrem eigenen natürlichen Rhythmus. Die „unbeschreiblich aus sich selbst erregten“ Blüten scheinen sich in einer Art ekstatischer Entfaltung zu befinden, die nicht in Worte gefasst werden kann. Der Rosenbusch ist „unendlich übertroffen“ von sich selbst, was die ungezähmte und unvergleichliche Schönheit der Natur widerspiegelt, die sich über jede Beschreibung und jede menschliche Norm erhebt. Hier wird die Natur als etwas dargestellt, das sich selbst genügt und in einer einzigartigen Form von Vitalität und Schönheit lebt.
Die letzte Strophe des Gedichts ruft den Wanderer an, der den Rosenbusch in seiner „Nachdenklichkeit“ passiert. Der Rosenbusch ruft dem Wanderer zu, ihn zu betrachten, in einem Akt der selbstbewussten Präsenz. Doch die Aussage des Rosenbusches „ich habe, was mir frommt“ impliziert eine tiefe Weisheit und Zufriedenheit im Sein. Der Rosenbusch ist sich seiner eigenen Schönheit und Bedeutung bewusst, auch ohne Schutz oder äußeren Glanz. Er steht da, „unbeschützt“, in seiner eigenen Wahrheit und fordert den Wanderer auf, diese Authentizität zu erkennen. Es ist ein Ruf zur Wahrnehmung der wahren, ungefilterten Schönheit, die in der Wildheit und Ungebundenheit der Natur zu finden ist.
Insgesamt thematisiert Rilke in diesem Gedicht die ungezähmte Schönheit der Natur, die sich selbst genügt und trotz der äußeren Dunkelheit in ihrer vollen Kraft und Reinheit besteht. Der Rosenbusch ist ein Symbol für das wahre, unverfälschte Leben, das in seiner Natürlichkeit und Unabhängigkeit etwas Höheres ausdrückt, das von keinem äußeren Einfluss verändert werden kann.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.