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Kindheit

Von

Es wäre gut viel nachzudenken,
um von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

Wie damals, da uns nichts geschah als nur,
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre

Es wäre gut viel nachzudenken,
um von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheits-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

Wie damals, da uns nichts geschah als nur,
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt

und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kindheit von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kindheit“ von Rainer Maria Rilke thematisiert die Vergänglichkeit und das Erinnern an die Kindheit. Der Sprecher beschreibt, wie die Kindheit ein Zustand war, den er mit einer Mischung aus Sehnsucht und Nachdenklichkeit betrachtet. Die „langen Kindheits-Nachmittage“, die „nie wiederkamen“, symbolisieren den Verlust einer Zeit, die nie wieder erlebt werden kann. Es bleibt die Frage nach dem „Warum“, die Rilke nicht beantwortet, sondern in der Erinnerung und in der Reflexion auf das Vergangene verharren lässt.

Die wiederholte Mahnung „es wäre gut viel nachzudenken“ unterstreicht den Versuch, etwas zu begreifen oder zu begreifen zu wollen, was verloren gegangen ist. Diese Erinnerung an die Kindheit wird von Rilke jedoch nicht nur mit Melancholie, sondern auch mit einer gewissen Ratlosigkeit behandelt. Der Regnen als Element könnte dabei als Metapher für die unklare, diffuse Natur der Erinnerung stehen – ein Symbol für das, was uns an unsere Kindheit erinnert, aber gleichzeitig auch in seiner Bedeutung schwer fassbar bleibt.

Der zweite Teil des Gedichts geht von einer unschuldigen Zeit aus, in der das Leben von „Begegnen“ und „Wiedersehen“ erfüllt war. Rilke stellt hier die Kindheit als eine Phase des ungebundenen und vollständigen Lebens dar, in dem alles, was geschah, eine klare und unmittelbare Bedeutung hatte. Die Worte „da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre“ deuten darauf hin, dass der Sprecher die Kindheit als eine Zeit empfindet, in der er noch im Einklang mit seiner natürlichen Existenz stand, ohne die komplexen Fragen und Verwirrungen des Erwachsenseins.

Im abschließenden Teil des Gedichts wird diese Kindheit jedoch als eine Zeit der wachsenden Isolation und der Überladung mit „großen Fernen“ beschrieben. Die Kindheit, die einst so nah und voller Begegnungen war, führt nun in eine verwirrende Welt, in der der Mensch zunehmend „vereinsamt“ wird und sich von den „Bilder-Folgen“ der erwachsenen Welt überflutet fühlt. Rilke stellt fest, dass der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter eine Veränderung mit sich bringt, bei der der Mensch sich einer immer komplexer werdenden Welt gegenüber sieht, die ihn mit Fragen und Herausforderungen überfordert. Das Gedicht vermittelt ein Gefühl der Entfremdung und des Verlusts von ursprünglicher Unmittelbarkeit und Klarheit.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.