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Ich lebe mein Leben…

Von

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehen.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

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Gedicht: Ich lebe mein Leben… von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ich lebe mein Leben…“ von Rainer Maria Rilke beschreibt den inneren Entwicklungsprozess des Ichs und dessen strebende Auseinandersetzung mit einer höheren, möglicherweise göttlichen Dimension. Der Sprecher beschreibt das Leben als eine Reihe von „wachsenden Ringen“, die sich immer weiter ausdehnen und die Dinge der Welt umkreisen. Diese Metapher deutet auf eine fortlaufende, spiralförmige Entwicklung hin, die nie ganz abgeschlossen wird. Der letzte Ring, der möglicherweise den endgültigen Sinn oder die Vollkommenheit repräsentiert, bleibt unerreichbar, aber die Bereitschaft, ihn zu versuchen, kennzeichnet die Haltung des Ichs.

Der Kreis um „Gott, um den uralten Turm“ symbolisiert den Versuch, sich einer größeren Wahrheit oder einer transzendentalen Kraft zu nähern. Diese Wiederholung des Kreisens und das Bild des Turms verweist auf die Idee, dass der Mensch, obwohl er sich dem Göttlichen nähert, nie ganz in den Besitz dieser Wahrheit kommt. Der Turm als Symbol für etwas Unantastbares und Unveränderliches verstärkt die Vorstellung von einem Ziel, das zwar anvisiert, aber nie vollkommen erreicht werden kann.

Die Frage „bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang?“ verdeutlicht die Unsicherheit und die Vielseitigkeit des Selbst. Der Sprecher weiß nicht, in welcher Form er sich in diesem Prozess manifestiert – als der Jagende (Falken), als die zerstörerische Kraft (Sturm) oder als eine schöpferische Ausdruckskraft (Gesang). Diese Offenheit und das Fehlen einer festen Identität deuten darauf hin, dass der Lebensweg von Rilkes Ich stets ein Suchender ist, der sich im Prozess des Kreises immer wieder neu erfindet.

Rilke bringt hier die Idee der kontinuierlichen Selbstveränderung und -entfaltung zum Ausdruck. Das Gedicht spiegelt die Ungewissheit und die ständige Neudefinition des Selbst wider, das sich in einem niemals endenden Streben nach Erkenntnis und Selbstverwirklichung befindet. Es ist ein plädoyer für die Akzeptanz des Wachstums, auch wenn das endgültige Ziel unklar bleibt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.