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Blaue Hortensie

Von

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rau,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

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Gedicht: Blaue Hortensie von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Blaue Hortensie“ von Rainer Maria Rilke thematisiert die Vergänglichkeit und das stille Weiterleben von Schönheit in der Natur. Im Zentrum steht die Beobachtung einer Hortensienblüte, deren Farben verblasst und vermischt sind – ein Bild für das Altern, das Vergehen und zugleich für die leise, melancholische Würde des Überdauernden. Rilkes Blick ist dabei zugleich distanziert und zärtlich, durchdrungen von einer fast meditativen Aufmerksamkeit für das Unspektakuläre.

Die erste Strophe beschreibt die Blätter der Hortensie als „trocken, stumpf und rau“ – sie erinnern an Reste in einem „Farbentiegel“, also an Überbleibsel eines einst kräftigen Farbspiels. Auch die Blütendolden tragen kein klares Blau mehr, sondern spiegeln es „verweint und ungenau“. Diese Formulierung ruft ein Gefühl von Traurigkeit hervor, als wäre das Blau selbst eine Erinnerung an etwas Verlorenes. Damit wird das Motiv der Erinnerung an vergangene Schönheit zentral, die zwar noch sichtbar ist, aber nur als blasser Abglanz.

In der zweiten Strophe verstärkt Rilke diesen Eindruck durch Vergleiche mit „alten blauen Briefpapieren“ – Trägern von Botschaften, die einst bedeutungsvoll waren, nun aber vergilbt und vergessen scheinen. Die Farbigkeit ist gebrochen, „Gelb, Violett und Grau“ mischen sich zu einem fahlem Ton. Diese Bilder sind durchzogen von einer sanften Melancholie, die sich auch im Vergleich mit einer „Kinderschürze“ ausdrückt – ein Relikt aus der Vergangenheit, mit dem „nichts mehr geschieht“. Hier verdichtet sich die Ahnung von der Kürze und Zerbrechlichkeit des Lebens.

Doch im Schluss tritt ein leiser Hoffnungsschimmer auf: In einer der Blütendolden scheint sich das Blau zu „verneuen“. Diese Wendung bricht mit der resignativen Stimmung und führt zu einem fast kindlichen Moment des Erkennens – das Blau „freut sich“ vor dem Grün. Es ist ein leiser, aber kraftvoller Ausdruck davon, dass selbst im Vergehen noch Schönheit, Lebendigkeit und Anmut aufscheinen können.

Rilkes Gedicht ist somit eine feinsinnige Meditation über Schönheit, Vergänglichkeit und das stille Fortbestehen von Leben im Kleinen. Durch genaue Naturbeobachtung und symbolreiche Sprache entsteht ein poetisches Bild, das das Altern nicht beklagt, sondern es in seiner Würde und Tiefe sichtbar macht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.