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Köln

Von

Ich komme am Dom vorbei. Der steht da – unersättlich, mit der großen
in die Nacht hineingreifenden Gebärde –

Kleine weiche Kokotten stehen im Schatten der Häuser und haben jenes
mir ach so bekannte Zucken um den Mund, wenn ein großer gedunsener
Mann auf sie zutappt und mit breiten Froschfingern ihre kleine Brust betastet.

Und ich stehe auf dem Bahnhof.

Da liegt der braune Zug in den Gleisen, der nachts seine Not
von London über Ostende, Berlin und Warschau nach Moskau heult,
atmend wie ein gepeinigtes Tier.

Und ich weiß: –

Um diese Zeit sinken schwere Wolken von Schnee tief in die kanadischen Wälder;
um diese Zeit wälzt sich ein kranker, müder Krake auf dem Meeresgrund
dem Tode zu;
um diese Zeit bröckelt wieder eine zermorschte Landschaft von dem greisen
Monde ab. —

Und ich weiß: –

Ich empfinde das alles: das tiefe Elend, in dem ich liege, das helle Glück,
zu dem ich fliege in anderen Stunden;

in mir ist die Angst des Bibers; der Hunger des Kängurus, das unter südlichen
Sternen einsam auf flüsternden Steppen springt; meine Seele ist ein Zwinger
voll wilder Tiere, voll lauernder, boshafter Affen und nagender Hyänen;

und ich bin machtlos, arm; ich falle vor ihr nieder wie ein nackter Wilder,
der im heißen Dunst und Dunkel brütender Sümpfe die Kugelblitze um
den Kilimandscharo rollen hört; –

und doch weine ich und lache und singe mit zersprungenen Lippen;
und mein Herz glüht wie eine Perle, und meine Augen sind Diamanten: –

Meine Welt! Meine tanzende, große Welt!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Köln von Walter Rheiner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Köln“ von Walter Rheiner ist eine kraftvolle Reflexion über die Zerrissenheit und das emotionale Chaos des modernen Lebens, das zwischen Verfall, Verlangen, und der Suche nach Bedeutung schwankt. Zu Beginn wird die Szene in Köln beschrieben, wo der Dom als ein „unersättlicher“ Wahrzeichen steht, das „mit der großen in die Nacht hineingreifenden Gebärde“ eine fast übernatürliche Präsenz entfaltet. Der Dom steht hier als Symbol für das unaufhörliche Streben und den Drang, sowohl im physischen als auch im metaphorischen Sinne. Diese Beschreibung verweist auf die monumentale Kraft und den drängenden, aber zugleich leer wirkenden Aspekt der modernen Welt.

In der nächsten Szene wird eine düstere und entwürdigende Atmosphäre geschaffen. Die „kleinen weichen Kokotten“ im Schatten der Häuser repräsentieren die Ausbeutung und das traurige, beinahe mechanische Verlangen, das in der städtischen Gesellschaft verborgen liegt. Das „Zucken um den Mund“ und das Bild des „breiten Froschfingers“ verweisen auf die Fremdheit und die entmenschlichende Natur des Verhältnisses zwischen den Protagonisten dieser Szene. Hier wird das Gefühl der Entfremdung und der Verrohung durch die wiederkehrenden Bilder der körperlichen Berührung und der Gewalt verstärkt.

Der Sprecher verweilt dann auf dem Bahnhof, und es wird eine andere Art von Reise und Bewegung eingeführt – eine, die von Sehnsucht und dem Streben nach einem tieferen Sinn begleitet wird. Der Zug, der „nach Moskau heult“, wird zu einem Bild für das ständige Rauschen des Lebens, das wie „ein gepeinigtes Tier“ über Länder hinwegzieht. Der Zug steht als Symbol für die Einsamkeit und das Schicksal, das die Menschen trotz aller Bestrebungen begleitet, und lässt eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung spüren. Die folgenden Beschreibungen von Naturereignissen – von „schweren Wolken von Schnee“ in den kanadischen Wäldern bis hin zu „zermorschter Landschaft“ – vermitteln ein Gefühl von Vergänglichkeit und globalem Elend. Diese Szenen verweisen auf den Verlust und das Unvermeidliche, das sich durch das gesamte Leben zieht.

Der Sprecher selbst fühlt sich von dieser universellen Tragödie durchzogen: „Ich empfinde das alles“. Es wird die innere Zerrissenheit des Sprechers klar, der sich sowohl mit „der Angst des Bibers“ als auch mit der Einsamkeit des Kängurus in den weiten, verlassenen Steppen identifiziert. Seine „Seele“ wird als „Zwinger voll wilder Tiere“ beschrieben, was auf das Chaos und die Unruhe innerhalb seines Inneren verweist. Diese wilden Tiere symbolisieren die vielen widersprüchlichen Gefühle und Instinkte, die den Sprecher quälen. Es wird ein Bild der Ohnmacht und des Schmerzes entworfen, das die Sehnsüchte und Ängste des Sprechers in den Vordergrund stellt.

Dennoch endet das Gedicht nicht in Verzweiflung, sondern in einem Moment der paradoxen Entfaltung: Der Sprecher „weint und lacht und singt“ trotz seiner inneren Zerrissenheit. Die „zersprungenen Lippen“ und das „glühende Herz“ bilden eine Metapher für die zerbrochene, aber dennoch lebendige Natur der menschlichen Erfahrung. Das Bild des „tanzenden, großen Welt“ verkörpert eine Mischung aus Freude und Schmerz, die die menschliche Existenz prägt. Es ist die Welt des Widerspruchs und der Bewegung, der eine ständige Reise von Aufstieg und Fall darstellt. Trotz aller Verzweiflung und Zerrissenheit bleibt der Sprecher in dieser Welt fest verankert – eine Welt, die gleichzeitig voller Chaos und Schönheit ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.