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An den Frieden

Von

Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede?
Gen Himmel, in dein mütterliches Land?
Hast du dich, ihrer Ungerechtigkeiten müde,
Ganz von der Erde weggewandt?

Wohnst du nicht noch auf einer von den Fluren
Des Oceans, in Klippen tief versteckt,
Wohin kein Wuchrer, keine Missethäter fuhren,
Die kein Eroberer entdeckt?

Nicht, wo mit Wüsten rings umher bewehret,
Der Wilde sich in deinem Himmel dünkt?
Sich ruhig von den Früchten seines Palmbaums nähret?
Vom Safte seines Palmbaums trinkt?

O! wo du wohnst, laß endlich dich erbitten:
Komm wieder, wo dein süßer Feldgesang,
Auf heerdenvollen Hügeln und aus Weinbeerhütten
Und unter Kornaltären klang.

Sieh diese Schäfersitze, deine Freude,
Wie Städte lang, wie Rosengärten schön,
Nun sparsam, nun wie Bäumchen auf verbrannter Heide,
Wie Gras auf öden Mauern stehn.

Die Winzerinnen halten nicht mehr Tänze;
Die jüngst verlobte Garbenbinderin
Trägt, ohne Saitenspiel und Lieder, ihre Kränze
Zum Dankaltare weinend hin.

Denn ach! der Krieg verwüstet Saat und Reben
Und Korn und Most; vertilget Frucht und Stamm;
Erwürgt die frommen Mütter, die die Milch uns geben,
Erwürgt das kleine fromme Lamm.

Mit unsern Rossen fährt er Donnerwagen,
Mit unsern Sicheln mäht er Menschen ab;
Den Vater hat er jüngst, er hat den Mann erschlagen,
Nun fodert er den Knaben ab.

Erbarme dich des langen Jammers! rette
Von deinem Volk den armen Überrest!
Bind‘ an der Hölle Thor mit siebenfacher Kette
Auf ewig den Verderber fest.

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Gedicht: An den Frieden von Karl Wilhelm Ramler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An den Frieden“ von Karl Wilhelm Ramler ist ein eindringliches lyrisches Klagelied, das sich an den personifizierten Frieden richtet und dessen schmerzliche Abwesenheit in einer von Krieg und Zerstörung heimgesuchten Welt beklagt. In klassisch elegischer Tonart bittet das lyrische Ich den Frieden, auf die Erde zurückzukehren und das Leiden der Menschheit zu beenden. Das Gedicht stammt aus dem 18. Jahrhundert, einer Zeit zahlreicher europäischer Konflikte, und spiegelt die Sehnsucht nach Ruhe, Ordnung und menschlicher Harmonie wider.

Bereits in den ersten Strophen wird der Frieden als entrücktes, fast göttliches Wesen beschrieben, das sich angesichts der menschlichen Ungerechtigkeiten vom Erdenrund abgewandt hat. Die Frage nach seinem Aufenthaltsort verstärkt die Vorstellung von seiner Abwesenheit: Er lebt nicht mehr unter den Menschen, vielleicht verborgen auf einer Insel, weit entfernt vom Lärm der Welt. Diese Utopie eines friedlichen Ortes steht im scharfen Kontrast zur zerstörten Realität Europas.

Mit zunehmender Dramatik schildert Ramler die Auswirkungen des Krieges: verwüstete Landschaften, zerstörte Dörfer, verlassene Felder. Besonders stark sind die Bilder der leidenden Frauen – Winzerinnen, Garbenbinderinnen – deren Leben einst vom Frieden geprägt war, nun aber in Trauer und Schmerz übergeht. Diese Verse zeichnen nicht nur ein Bild materieller Zerstörung, sondern auch einen tiefen seelischen und kulturellen Verlust.

Die Grausamkeit des Krieges kulminiert in der Darstellung seiner Opfer: Mütter, Väter, sogar Kinder und Lämmer – Symbole von Unschuld und Zukunft – werden „abgemäht“ wie das Korn, mit denselben Werkzeugen, die einst der Nahrung dienten. Diese Umkehrung der Lebensfunktionen zu Werkzeugen des Todes unterstreicht die völlige Verkehrung der Weltordnung durch den Krieg.

Im letzten Appell wird der Krieg personifiziert als „Verderber“, der mit „siebenfacher Kette“ an das Tor der Hölle gebunden werden soll. Die Zahl Sieben betont das Absolute und Endgültige der erhofften Bannung. Damit erhebt das Gedicht den Ruf nach Frieden zu einem moralisch-religiösen Anliegen. „An den Frieden“ ist nicht nur ein Ruf nach politischer Ruhe, sondern auch nach Wiederherstellung einer göttlichen, humanen Ordnung, in der Menschlichkeit und Mitgefühl wieder regieren können.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.