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Ja, der Frühling

Von

Ja, der Frühling ist im Land!
Alle Wesen sind bereit
in dem neuen Prunkgewand
zu der Hochzeit-Lustbarkeit.

Jedes weiß, was es zu tun,
und erkürt den rechten Platz;
Stolz behupft der Hahn sein Huhn
und den Kater rupft die Katz.

Nach erprobtem Lenzgesetz
fallen alle offenbar
in das große Liebesnetz –
nur der Mensch ist sich nicht klar!

Nur der Mensch, der arme Tropf,
spricht von höhrer Lebenspflicht;
eifrig zählt er Knopf an Knopf:
Soll ich, oder soll ich nicht?

Stimm ich in die Melodie
dieser Frühlingsraserei –
oder überhör ich sie
und geh würdevoll vorbei?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ja, der Frühling von Margarete Beutler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ja, der Frühling“ von Margarete Beutler beschreibt auf humorvolle und zugleich nachdenkliche Weise das Erwachen der Natur zur Paarungszeit und kontrastiert es mit der Unsicherheit des Menschen, der sich – anders als die Tiere – nicht instinktiv dem „großen Liebesnetz“ des Frühlings hingibt. Beutler nutzt dabei eine volksliedhafte Form mit klarer Reimstruktur und rhythmischer Leichtigkeit, um ein tieferes Thema zu umkreisen: das Spannungsverhältnis zwischen natürlichem Trieb und kultureller Zurückhaltung.

In den ersten beiden Strophen wird der Frühling als große Hochzeit der Natur dargestellt. Alles ist bereit, jedes Tier findet seinen Platz im Liebesspiel. Besonders das Bild des „Hahns“, der stolz sein „Huhn behupft“, und der „Kater“, der von der „Katz“ gerupft wird, unterstreicht das natürliche, ungehemmte Verhalten der Tiere. Sie handeln instinktiv, folgen dem „erprobten Lenzgesetz“ – einem unausweichlichen, zyklischen Prinzip.

Demgegenüber stellt Beutler den Menschen, der als einziger in dieser frühlingshaften Ausgelassenheit ins Grübeln gerät. Der „arme Tropf“ zögert, wägt ab, zählt „Knopf an Knopf“, anstatt sich einfach hinzugeben. Diese Bildsprache karikiert den menschlichen Hang zur Selbstreflexion, zur Rationalisierung des Gefühlslebens. Der Mensch spricht von „höhrer Lebenspflicht“ und verliert sich dabei in Zweifeln, wo die Natur längst entschieden hat.

Die letzte Strophe bringt die innere Zerrissenheit auf den Punkt: Soll man „in die Melodie“ des Frühlings einstimmen – also sich der Liebe, dem Begehren hingeben – oder sie „überhören“ und „würdvoll vorbei“ gehen? Beutler stellt diese Alternative ohne eindeutige Antwort in den Raum, lässt aber durch Tonfall und Ironie erkennen, dass das allzu würdige Vorübergehen möglicherweise die größere Torheit ist.

So ist „Ja, der Frühling“ eine feinsinnige, ironische Reflexion über das menschliche Dilemma zwischen Natur und Vernunft. Margarete Beutler gelingt es, mit leichter Hand eine tiefere Fragestellung über Lebenslust, Selbstbeherrschung und das Verhältnis des Menschen zur Natur aufzuwerfen – heiter, aber mit einem ernsten Unterton, der nachhallt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.