Der Revoluzzer
War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Strassen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Strassenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
schrie: „Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Lasst die Lampen stehn, ich bitt! –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit.“
Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Revoluzzer“ von Erich Mühsam ist eine satirische Auseinandersetzung mit den Idealen und der Praxis des politischen Aufbegehrens. Der Sprecher beschreibt einen Mann, der sich als Revoluzzer versteht und voller Überzeugung die „Revoluzzermütze“ aufsetzt, um den revolutionären Geist zu verkörpern. Doch trotz seiner äußerlichen Haltung und der bereitwilligen Teilnahme an den Revolutionären, bleibt er in seinem tiefsten Inneren ein „Lampenputzer“ – jemand, der lediglich die Gaslaternen putzt und sich nicht wirklich mit den radikalen Zielen der Revolution identifizieren kann.
Der Revoluzzer schreitet „mit den Revoluzzern mit“, doch als es darum geht, die Gaslaternen zu zerstören, um Barrikaden zu bauen, gerät er in einen Konflikt. Er ist in Wahrheit mehr an der Erhaltung des Status quo interessiert, symbolisiert durch sein Festhalten an den Gaslaternen, die er so gut kennt. Der Revoluzzer, der sich als solcher gebärdet, ist in Wirklichkeit ein Mensch, der nicht bereit ist, echte Opfer zu bringen oder die Konsequenzen einer Revolution zu tragen. Vielmehr ist er darauf bedacht, seine alltägliche Arbeit fortzusetzen, ohne sich von den revolutionären Handlungen beeinträchtigen zu lassen.
Die satirische Wendung kommt zum Höhepunkt, als der Revoluzzer versucht, die Revolution zu stoppen, indem er auf die Bedeutung der Gaslaternen für das tägliche Leben hinweist – eine Haltung, die nicht nur seine Inkompetenz, sondern auch seine Verwirrung und Unentschlossenheit gegenüber den Idealen der Revolution offenbart. Er ruft dazu auf, die „Lampen stehn zu lassen“, da diese für ihn unverzichtbar sind, um weiterhin „mitzuspielen“. Doch als die Revolution weitergeht und die Laternen zerstört werden, weicht er in Tränen und Enttäuschung zurück.
Am Ende des Gedichts bleibt der Lampenputzer – der von sich selbst als Revoluzzer träumte – in seinem sicheren, gewohnten Leben und veröffentlicht ein Buch, das ironisch über das Revoluzzen spricht, während er in Wahrheit in seiner Rolle als Lampenputzer verbleibt. Mühsam nutzt diese humorvolle Geschichte, um die Diskrepanz zwischen der Theorie und der Praxis des Revolutionären aufzuzeigen, sowie die Menschen zu kritisieren, die sich als Teil einer Bewegung fühlen, ohne bereit zu sein, die tatsächlichen Veränderungen mitzutragen. Das Gedicht ist eine scharfsinnige, humorvolle Reflexion über die Oberflächlichkeit und Selbsttäuschung von Revolutionsromantik.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.