Der kühle Tag
O Tag, so kühl und sonnensatt
hast du dich in die Welt geschmiegt!
So kühl wie dieses Rosenblatt,
das zwischen meinen Lippen liegt,
so kühl wie jene Mädchenhand,
die über meine Stirne ging,
kühl wie ein seiden Nachtgewand,
kühl wie ein weißer Schmetterling!
Was tu ich nun mit meiner Glut,
die in die Sonne lechzt und drängt,
wo du mit einer Schleierflut
von Wolken mir das Licht verhängt?
Trag ich nun still mit heißer Hand,
recht wie ein wartekrankes Kind,
mein rotes Herz durch müdes Land
bis an den grauen Abendwind? –
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der kühle Tag“ von Margarete Beutler beschreibt eine innere Spannung zwischen der intensiven „Glut“ des lyrischen Ichs und der kühlenden, beruhigenden Wirkung der Außenwelt. Zu Beginn wird der „kühle Tag“ als eine harmonische Mischung aus Kühle und Sonne dargestellt, der sich „in die Welt geschmiegt“ hat. Diese Beschreibung erzeugt das Bild eines friedlichen, aber zugleich distanzierten Moments der Natur, der von der Wärme des Sonnenscheins, aber auch von der Kühle eines „Rosenblatts“ begleitet wird. Diese Kühle wird durch die Vergleiche mit einem „Mädchenhand“, einem „Nachtgewand“ und einem „Schmetterling“ verstärkt, die alle zarte, fast flüchtige Kühle ausstrahlen und eine bestimmte Weichheit und Unnahbarkeit suggerieren.
Im Kontrast dazu steht die „Glut“ des lyrischen Ichs, das sich nach der Sonne sehnt und diese Energie in sich trägt. Die Frage „Was tu ich nun mit meiner Glut?“ reflektiert die innere Unruhe und das Bedürfnis nach einer Befriedigung oder einer Ausrichtung der eigenen Leidenschaft. Während der Tag kühl und zurückhaltend bleibt, drängt das innere Feuer des Ichs nach Ausdruck und Wärme. Der Blick des Sprechers auf die Wolken, die das Licht „verhängen“, verstärkt das Gefühl der Entfremdung von der Natur und der Unfähigkeit, die eigene innere Energie in Einklang mit der Außenwelt zu bringen.
Das Bild des Sprechers, der mit „heißer Hand“ und einem „roten Herz“ durch das „müde Land“ zieht, zeigt eine tiefe Frustration über die unerfüllte Sehnsucht und die Unmöglichkeit, die eigene Glut auszuleben. Die Metapher des „wartekrankes Kindes“ drückt eine geduldige, aber schmerzhafte Erwartung aus, die in den Widerspruch zum äußeren Zustand des „kühlen“ und „sonnensatten“ Tages tritt. Der Sprecher ist von einer Art innerem Wunsch getrieben, der jedoch nicht in der kühlen, friedlichen Welt des Tages Platz findet. Diese Spannung zwischen der inneren Glut und der äußeren Kühle wird verstärkt durch die Aussicht auf den „grauen Abendwind“, der den Übergang von Tag zu Nacht symbolisiert und möglicherweise das Ende einer unerfüllten Hoffnung oder Sehnsucht markiert.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.