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An die Geliebte

Von

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinen Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

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Gedicht: An die Geliebte von Eduard Mörike

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Geliebte“ von Eduard Mörike ist ein inniger, fast mystisch gefärbter Liebeshymnus, der die geliebte Person in den Rang eines göttlich inspirierten Wesens erhebt. In kunstvoller Sprache und tief empfundener Bildlichkeit schildert das lyrische Ich ein Erleben der Geliebten, das über das Irdische hinausgeht und in eine spirituelle, fast religiöse Sphäre hineinragt.

Bereits in den ersten Versen wird die Wirkung des Anblicks der Geliebten beschrieben: Es ist ein Zustand tiefer innerer Ruhe und Erfüllung, ein „Gestilltsein“, das das ganze Sein durchdringt. Der „Engel“, der sich in der Geliebten verbirgt, verweist darauf, dass sie mehr als Mensch ist – sie ist Trägerin des Göttlichen, ein himmlisches Wesen im irdischen Gewand. Das lyrische Ich fühlt sich dieser Offenbarung gegenüber staunend und fragend zugleich – die Erfahrung ist so überwältigend, dass sie wie ein Traum erscheint, dem kaum zu trauen ist.

Im Zentrum steht die Erfüllung eines „kühnsten Wunsches“, der nun Realität geworden ist: die Vereinigung mit einer idealisierten Geliebten. Diese Liebe ist nicht nur sinnlich oder emotional, sondern existenziell – sie durchdringt den ganzen Menschen und führt ihn an die Grenzen des Verstehens. Der Gedanke stürzt „von Tiefe zu Tiefen“, das Ich wird hineingezogen in eine metaphysische Erfahrung, bei der selbst das „Schicksal“ als musikalisch fließende Quelle vernommen wird.

Am Ende richtet sich der Blick nach oben, zum Himmel, wo die Sterne im „Lichtgesang“ lächeln. Der Begriff des „Lichtgesangs“ verbindet visuelle und akustische Sinneseindrücke und verstärkt so den Eindruck einer überirdischen Harmonie. Das Ich kniet, ein Ausdruck höchster Demut und Andacht – die Liebe hat sich verwandelt in eine religiöse Erfahrung, in ein Lauschen auf das Universum selbst.

Mörikes Gedicht zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie Liebe nicht nur ein Gefühl, sondern ein Weg zur Erkenntnis des Göttlichen sein kann. In der Verehrung der Geliebten offenbart sich dem lyrischen Ich ein höherer Sinn, eine Ordnung jenseits des Alltags. Die feine Sprache, der sanfte Ton und die mystische Bildhaftigkeit machen „An die Geliebte“ zu einem exemplarischen Werk romantischer Liebeslyrik.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.