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Lieder-Seelen

Von

In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt,
Ward ich von süßen Gespenstern erschreckt,
Ein Reigen schwang im Garten sich,
Den ich mit leisem Fuß beschlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring
Ein weißer, lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab‘ ich keck befragt:
Wer seid ihr, lustige Wesen? Sagt!

„Ich bin ein Wölkchen, gespiegelt im See.“
„Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“
„Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“
„Ich bin ein Geheimnis, geflüstert ins Ohr.“
„Ich bin ein frommes, gestorbenes Kind.“
„Ich bin ein üppiges Blumengewind -„
„Und die du wählst, und der’s beschied
Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied.“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Lieder-Seelen von Conrad Ferdinand Meyer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Lieder-Seelen“ von Conrad Ferdinand Meyer ist eine mystische und zugleich philosophische Auseinandersetzung mit der Idee der flüchtigen Schönheit und der vergänglichen Natur des Lebens. Zu Beginn beschreibt der Sprecher eine nächtliche Szene, in der „die Bäume mit Blüten“ bedeckt sind, was eine Atmosphäre der Poesie und des Wunderbaren schafft. Der Sprecher wird „von süßen Gespenstern erschreckt“, was die Ankunft von geheimnisvollen, übernatürlichen Wesen impliziert, die den Garten in eine andere Dimension der Wahrnehmung führen. Diese „süßen Gespenster“ und der „Reigen“, der sich im Garten abspielt, erzeugen eine Atmosphäre von Zauber und Magie, die durch den „weißen, lebendigen Schimmer“ noch verstärkt wird.

Der Sprecher stellt den Erscheinungen im Garten Fragen und fordert die „lustigen Wesen“ heraus, sich zu offenbaren. Diese Geister antworten, indem sie sich als verschiedene, flüchtige und oft schwer fassbare Aspekte der Welt zeigen. Sie sprechen von verschiedenen Erscheinungen: ein „Wölkchen, gespiegelt im See“, „eine Reihe von Stapfen im Schnee“ und ein „Seufzer gen Himmel empor“. Diese metaphysischen Antworten stellen flüchtige Momente des Lebens dar, die wie Wolken oder Schnee vergänglich sind und dennoch eine tiefere Bedeutung oder Schönheit besitzen. Es wird auf die Unbeständigkeit und die Wechselfälle des Lebens hingewiesen, die dennoch durch ihre Vergänglichkeit einen besonderen Wert erhalten.

Die Antwort des „frommen, gestorbenen Kindes“ und des „üppigen Blumengewinds“ bringt die Idee von Vergangenheit, Tod und Natur mit ins Spiel, wobei der Tod nicht als Ende, sondern als Teil eines kontinuierlichen Zyklus von Leben und Tod dargestellt wird. Das Bild des „gestorbenen Kindes“ verweist auf die Unschuld und das Vergangene, während das „Blumengewind“ die Schönheit und Lebendigkeit des Lebens symbolisiert. Im letzten Vers, in dem die Wesen darauf hinweisen, dass „die Gunst der Stunde“ die Wahl bestimmt, welche Erscheinung „ein Lied“ wird, wird die Bedeutung der Momentaufnahme und der Wahl hervorgehoben. Es ist die Entscheidung des Individuums, welcher dieser flüchtigen, gelebten Momente als Erinnerung oder „Lied“ in die Ewigkeit eingeht.

Meyer nutzt hier eine poetische Mischung aus Naturbildern, metaphysischen Ideen und der Vorstellung von Schönheit, die in der Vergänglichkeit des Lebens liegt. Die Antwort der Gespenster verdeutlicht, dass jede Erfahrung, sei es Freude, Schmerz oder Verlust, ihre eigene Bedeutung und Schönheit trägt, wenn man sie im richtigen Moment erkennt. Das Gedicht lädt den Leser ein, die flüchtigen Momente des Lebens zu schätzen und den besonderen Wert im Übergang und in der Vergänglichkeit zu finden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.