Menschenleben
Stürmisch entfliehet
Der Augenblick;
Was er entziehet,
Kehrt nicht zurück.
Tod ist das Leben
Ein ewiger Tod;
Menschenbestreben
Beherrscht die Not;
Und er verhallet
In Nichts dahin;
Und es verschallet
Sein Tun und Glühn.
Geister verhöhnen
Ihm seine Tat;
Stürmisches Sehnen,
Und dunkler Pfad;
Ewiges Reuen
Nach eitler Lust;
Ewiges Bräuen
In tiefer Brust;
Gierig Bestreben
Und elend Ziel
Das ist sein Leben,
Der Lüfte Spiel.
Groß es zu wähnen
Doch niemals groß,
Selbst sich zu höhnen,
Das ist sein Los.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Menschenleben“ von Karl Marx zeichnet ein düsteres, fast nihilistisches Bild der menschlichen Existenz. In knappen, eindringlichen Versen formuliert Marx eine fundamentale Skepsis gegenüber dem Sinn des Lebens und dem Wert menschlichen Strebens. Die Sprache ist einfach, fast spröde, doch gerade dadurch entfaltet sie eine starke, existentielle Wucht.
Bereits die erste Strophe bringt das zentrale Motiv auf den Punkt: Die Zeit vergeht unaufhaltsam, der „Augenblick“ flieht, und was er mit sich nimmt, bleibt unwiederbringlich verloren. Das Leben wird von Anfang an als von Verlust und Endlichkeit bestimmt vorgestellt. In der zweiten Strophe steigert Marx diese Perspektive weiter – das Leben selbst sei „ein ewiger Tod“, also ein fortwährendes Verlöschen. Das menschliche Streben wird als von Not beherrscht dargestellt: Notwendigkeit, Unfreiheit und Sinnlosigkeit bilden den Rahmen, in dem sich das Dasein vollzieht.
Auch das Handeln des Menschen hat keinen Bestand. Es „verhallet / in Nichts“ – alles Tun, alle Leidenschaft ist letztlich vergeblich. Der Klang des Lebens „verschallet“, verweht wie ein Geräusch im Wind. Damit setzt sich Marx deutlich von einer idealistischen Sichtweise ab, die im menschlichen Wirken einen höheren Zweck oder bleibenden Wert sehen könnte.
In den mittleren Strophen treten „Geister“ auf, die das Tun des Menschen „verhöhnen“. Sie symbolisieren eine höhere, spöttische Instanz – sei es das eigene Gewissen, eine übergeordnete Wahrheit oder die Geschichte selbst. Das „stürmische Sehnen“ des Menschen verläuft auf einem „dunklen Pfad“ – ziellos, orientierungslos. Reue und innere Qual sind die Konsequenzen eines Lebens, das sich vergeblich nach Erfüllung sehnt.
Die letzte Strophe bringt die zentrale Botschaft in eine bittere Pointe: Der Mensch wähnt sich groß – doch ist es eine Illusion. In Wahrheit ist das Leben ein „Lüfte Spiel“, also etwas Flüchtiges, Willkürliches. Sich selbst zu täuschen, zu überschätzen, sich am Ende sogar zu „höhnen“ – das ist das Los des Menschen. Marx entwirft hier eine tief pessimistische Anthropologie, in der weder Fortschritt noch Erlösung greifbar scheinen. Stattdessen steht das Gedicht in der Tradition einer romantisch-existenzialistischen Weltsicht, in der die Ohnmacht des Einzelnen angesichts von Zeit, Tod und Bedeutungslosigkeit klar im Vordergrund steht.
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Lizenz und Verwendung
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