Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , ,

Worte

Von

Worte, die das Ohr, das sie hörte, nie vergißt,
Worte, deren Klang allein schon wie Verheißung ist,
Worte, voll von Liebe, schwer an Zärtlichkeit,
Wie sie ihrem Abgott Liebe in verschwiegener Stunde weiht –

In den Becher deiner Jugend goß das Glück sie ein,
Und du trankst, und wurdest trunken, trunken wie von altem Wein!
Worte, einmal nur gesprochen, doch gebunden schon –
Stürme, Lebensstürme brausten, und verschlangen ihren Ton –
Worte, schwer an Liebe, arm an Sinn,
Die gleich Eintagsfaltern spielen über blaue Blumen hin:
Haben sie wie Nichts beseligt dich einmal,
Als du auf die Höhen stiegest aus des Lebens dumpfem Tal…

Worte, hundertmal gehört schon, Worte, wirr und bunt –
Aber so sprach sie allein nur der geliebte, schöne Mund,
Die zu hören immer wieder nie dein Ohr verdroß,
Bis dein Kuß als Antwort schweigend die ergebne Lippe schloß…

Worte, wesenlose Worte – niemals wurden sie Gestalt.
Aber unermeßlich wurden sie in ihres Seins Gewalt:
Wurden Leben, kommen wieder, und ihr Leben heischt Gewähr,
Legen auf dein Herz sich mählich wie lebendige Sehnsucht schwer…
Und nun foltert dich die Stimme, die der Wind verschlang –
Immer hörst du ihren Tonfall, immer wieder ihren Klang…

Worte, voll von Liebe, und an Güte schwer:
Wie die Bettler gehn sie flehend neben deinem Wege her…
Unverscheuchbar… Tot die Stimme, die sie sprach,
Doch du wirst sie hören noch an deines Lebens letztem Tag.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Worte von John Henry Mackay

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Worte“ von John Henry Mackay ist eine eindringliche Meditation über die Macht und das Nachwirken gesprochener Worte in der Erinnerung und im Herzen des Menschen. Es beschreibt, wie Worte, einst mit Liebe erfüllt ausgesprochen, ein eigenes, fast geisterhaftes Leben entwickeln, das den Menschen noch lange verfolgt – auch wenn die Stimme, die sie einst sprach, längst verklungen ist.

Von Anfang an betont das Gedicht die Unvergesslichkeit dieser Worte. Sie sind nicht nur bedeutungstragende Zeichen, sondern sinnliche Erfahrung: „deren Klang allein schon wie Verheißung ist“. Die Worte sind Träger von Liebe, Zärtlichkeit und Hoffnung – sie gehören in die Intimität einer „verschwiegene[n] Stunde“, in der ein tiefes Gefühl ausgesprochen wurde. Dabei sind sie nicht abstrakt, sondern zutiefst körperlich empfunden: wie ein Rausch, der mit „altem Wein“ verglichen wird und das lyrische Ich berauscht.

Doch Mackay zeigt auch die Vergänglichkeit und die Täuschungskraft dieser Worte. Sie waren „voll von Liebe, arm an Sinn“, flatterhaft wie „Eintagsfalter“. Die Verbindung von Leichtigkeit und Bedeutungslosigkeit mit gleichzeitiger seelischer Erhebung bringt eine tiefe Ambivalenz zum Ausdruck: Wie können so flüchtige Dinge so tief berühren? Diese Worte sind einst „Leben“ geworden – aber sie trugen keine echte Substanz in sich.

Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der Stimme als verloren und doch unvergessen. Der Wind hat sie verschluckt, aber das Gedächtnis gibt sie nicht frei. Der Klang, nicht der Inhalt der Worte, bleibt lebendig, wird zum Schmerz: „die Stimme […] foltert dich“. Hier offenbart sich eine zentrale Erfahrung unerfüllter oder vergangener Liebe – dass Worte weiterleben, auch wenn der Mensch, der sie sprach, längst verstummt ist.

Im Schlussteil steigert sich das Gedicht zu einer fast unheimlichen Intensität. Die Worte werden zu lebendigen Wesen – „wie die Bettler“ begleiten sie den Sprecher, unverscheuchbar und flehend. Diese letzte Bildsprache verdeutlicht, dass es nicht mehr um die reale Kommunikation geht, sondern um ein inneres Echo, das sich tief ins Bewusstsein eingegraben hat. Worte, einst zärtlich gesprochen, sind zu lebenslangen Begleitern geworden – nicht als Trost, sondern als bittersüße, bleibende Sehnsucht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.